Über die Schwierigkeit, systemisch zu narrativieren
Jürgen Kriz
FB Psychologie, Fach Klinische Psychologie, der Universität
Osnabrück
(publiziert in: System Familie, 11, S. 105 - 111, 1998)
Narration zur Problemlage
In der Psychotherapie-Profession wird allgemein beklagt, daß zwischen Wissenschaft und Praxis eine große Kluft besteht. Diese Klage ist gleichermaßen alt und oft wiederholt, wie immer noch unbestritten zutreffend. In den analytisch-tiefenpsychologischen und den lerntheoretisch-behavioralen Ansätzen wurden allerdings zumindest brauchbare Brücken geschlagen: Für beide wurden jeweils im Rahmen einer ansatzspezifischen Methodologie Lösungen entwickelt, um theoretische Konzepte und praktisches Handeln hinreichend zu verbinden und sich einer, ebenfalls inner-paradigmatischen, Forschung zu öffnen. Hingegen erscheint die Kluft für die systemischen Ansätze immer noch, wenn nicht: mehr denn je, unüberbrückbar tief (ähnlich wie übrigens für die humanistischen Ansätze, die im Kern ja durchaus als systemisch zu bezeichnen sind - was explizit z.B. für den klientzentrierten Ansatz von Carl Rogers oder die Gestalttherapie gilt). Die Kluft zwischen einer blühenden und gut etablierten systemischen Praxeologie auf der einen und den ebenso gut etablierten systemischen Theorie-Konzeptionen auf der anderen Seite wird eher durch schillernde Regenbögen als durch tragfähige Brücken überspannt.
Für etliche der hilfreichen, Erfahrungen zentrierenden, Konzepte der Praxis - etwa ”Triangulation”, ”Verstrickung” etc. - gibt es im Rahmen der Systemtheorien keine klaren Zuordnungen, weshalb ”eigenständige” Operationalisierungen der Begriffe (positiv konnotiert:) als mutige Abenteuer gewertet werden müssen. Andererseits finden sich am Praxis-Ufer manche theoretische Begrifflichkeiten, die aber von ”drüben” eher herübergeweht erscheinen, und mangels klarer praktischer Einbettung mehr auf schillernd-luftigen Begriffsjargon als auf bodenständige Erfahrungszentrierung hinweisen - ”Phasenübergang” (oder ”Verstörung”), ”operationale Geschlossenheit”, ”Attraktor”, neuerdings auch ”Fraktal” etc. gehören m.E. hierzu. Ich wage sogar die Behauptung, daß selbst der Begriff ”System” im allergrößten Teil jener Textstellen, wo von ”System Familie” die Rede ist, eher Jargon-Charaker hat: man könnte dort ohne jeden theoretisch-konzeptionellen Verlust (aber mit mehr Bescheidenheit und intellektueller Redlichkeit) das ”System Familie” einfach durch den Alltagsbegriff ”Familie” ersetzen. Wo die spezifische Systemkonzeption im Dunkel bleibt, d.h. wo mögliche Antworten auf Fragen wie: ”auf welcher Ebene werden die systemischen Prozesse rekonstruiert?”, oder: ”was genau sind die Konstituenten und was die Operatoren?”, etc. gar nicht erst versucht werden, sollte man redlicherweise einfach von der ”Familie” reden.
Auf der anderen Seite der Kluft, im Bereich der systemischen Wissenschaft, werden Landschaften aus Elfenbeintürmen errichtet, untereinander gut kommunikativ vernetzt, aber gelegentlich nicht einmal mit Fenstern zum gegenüber liegenden Ufer ausgestattet. Mangels begehbarer Brücken ist denn auch ein Desinteresse an der jeweiligen Gegenseite zu verzeichnen - worüber auch die gelegentlichen Kultveranstaltungen nicht hinweg täuschen können: Auf Seiten der Praxis wird in regelmäßigen Abständen ehrfurchtsvoll die heilige Wissenschaft angebetet, um sich dann freilich unbekümmert wieder den Alltagsgeschäften zuzuwenden. Und auf der anderen Seite finden sich in den Elfenbeintürmen Nischen, in denen Bekenntnisse zur Praxisrelevanz abgelegt werden, deren Unreinlichkeiten aber aus den den eigentlichen Arbeitszimmer steriler Sauberkeit verbannt bleiben.
Dieser Zustand allein wäre bereits für beide Seiten ärgerlich. Verschärfend kommt aber hinzu, daß durch das Fehlen einer tragfähigen Brücke zwischen beiden Ufern besonders eine angemessene Forschung zu wünschen übrig läßt, jedenfalls eine solche, die (wie üblich) permanent zwischen beiden Ufern hin und her wechselt (und nicht nur in den Elfenbeintürmen verbleibt oder nur, auf der anderen Seite, Erfahrungen sammelt). Versuche, auf dem Regenbogen oder auf dünn gespannten Drahtseilen die Kluft zu überwinden, endeten (jedenfalls nach meiner Wahrnehmung) allzu häufig mit einem Sturz in den gewaltigen Mainstream, der - aus ganz anderen methodologischen Gegenden stammend - die Kluft eher trennend statt verbindend durchströmt. Hohn, Spott, verständnisloses Kopfschütteln oder bestenfalls Desinteresse war denn auch manchem gewiß, der vom Sturz in den Mainstream wie ein begossener Pudel an eines der Ufer zurück kroch (gleich, ob auf die Seite der Praxis oder auf jene der Wissenschaft).
Ich habe bereits vor vielen Jahren in dieser Zeitschrift einige zentrale Probleme systemisch-empirischer Forschung aufgezeigt (Kriz 1991), die sich dadurch auszeichnen, daß die Essentials des systemischen Ansatzes neue Techniken des Brückenbaus zur Überwindung der Kluft erforderlich machen würden - oder andersherum: daß die alten Techniken ein so dünnes Drahtseil als mögliche Brücke übriglassen, daß ein Absturz in den Mainstream bei diesem Drahtseilakt geradezu vorprogrammiert zu sein scheint. Konkret: Allein schon eine angemessene Berücksichtigung nicht-linearer Dynamik und spezifischer Ursache-Wirkungs-Rückkopplung bei selbstorganisierenden Systemdynamiken läßt die zur Überbrückung anderer Schluchten durchaus tragfähige klassische Analytik (von den Forschungsdesigns bis hin zur Auswertungsstatistik, denen ja weitestgehend rückkopplungsfreie und linear-kombinative Modelle zugrunde liegen) abenteuerlich dünn werden (vgl. die praktisch diskutierten Beispiele in Kriz 1991). Alternativen sind aber derzeit eher im Entwicklungsstadium oder gar nur am Reißbrett. Die Kritik war daher weitaus leichter (und ”billiger”) als erprobte Alternativen vorzulegen. Sie hat denn auch wenig verändert (vgl. z.B in jüngerer Zeit die Diskussion zwischen Berger Bertschinger und Wirsching über ”Faktoren erfolgreicher Familientherapien” in Heft 1, 1996, dieser Zeitschrift).
Es macht wenig Sinn, diese alte Klage hier zu wiederholen. Vielmehr ist es das Anliegen dieses Beitrages, die Perspektive, unter der diese Klage ins Blickfeld rückt, radikal zu verändern: Beim Nachsinnen über die Schwierigkeiten, spezifisch im systemischen Bereich den gefährlichen Mainstream zu überwinden, wird nämlich deutlich, daß diese nicht nur auf der Seite der Wissenschaft und (der dieser Seite eher zurechenbaren) Forschung auftreten. Vielmehr stellen sich strukturell ähnliche Probleme, wenn man die Perspektive auf die Praxis-Seite richtet. Das Grundproblem wird vielleicht an einer kleinen Begebenheit deutlich: Kürzlich lauschte ich dem Vortrag eines bekannten theoretischen Physikers, Herbert Pietschmann, Wien, vor einem heterogenen Publikum. Es ging in einer Passage um den Elektronen-Spin. Pietschmann wies darauf hin, daß das Atom-Modell von Niels Bohr in Sinne eines Mini-Planetensystemn natürlich völlig falsch sei. Noch unangemessener sei es, sich das Elektron als kleine Kugel vorzustellen, die wie ein Planet um den Atomkern kreist und sich dabei um sich selbst dreht (dort wäre es der Spin). Diese Vorstellungen von Laien wären ”völliger Blödsinn”, betonte er. Dann hielt er einen Augenblick inne, lächelte verschmitzt und meinte: ”Aber wenn Sie mich fragen - ich stelle mir den Elektronen-Spin natürlich ebenfalls genau so vor!”
An diesem Beispiel wird die Problematik deutlich, daß sich unsere Denkstruktur (besonders die abendländische) die unter ihr möglichen Metaphern als recht untauglich für einangemessenes Verständnis vieler wesentlicher Erkenntnisse dieses Jahrhunderts erweist. Relativitätstheorie und Quantentheorie sind, so weiß inzwischen fast jedes Kind, unanschaulich und un”logisch”, und sie widersprechen wesentlich den Prinzipien, nach denen wir die Alltagswelt ordnen, um Stabilität in ihr zu finden. Allerdings berührt uns dies nicht weiter: Beide Bereiche können wir als Spezialfragen in die Domäne der Physiker verbannen. Und diese wiederum haben im Detail wenig Schwierigkeit, z.B. mit dem Spin umzugehen, indem sie sich auf ihre unanschauliche Mathematik zurückziehen.
Anders aber steht es mit den Erkenntnissen moderner, naturwissenschaftliche
fundierter Systemtheorie: Der Mainstream unserer Kultur transportiert bekanntlich
über die Sprachstruktur die Vorstellung einer dinghaften, statisch-relationalen,
kausal bewirkbaren und analytisch zerlegbaren Welt. Dies stützt neben
der großen Domäne der Alltagswelt auch die klassisch abendländische
Wissenschaft und wird ihrerseits durch diese gestützt. Prozeßhafte,
komplex selbstorganisierende, vernetzt und holistisch verbundene Phänomene
können in diesem Sprach- und Denkstrom kaum angemessen symbolisiert
werden. Und da im Bereich systemischer Therapie nicht über
die zu erfahrenden Entitäten (z.B. über ”Elektronen”) sondern
wesentlich auch mit ihnen (nämlich mit ”Paaren”, ”Familien”,
”Patienten” etc.) kommuniziert wird, würden die eher prozeßadäquaten
Mathematisierungen (selbst wenn sie von der Profession allgemein weit besser
verstanden würden) wenig nützen: sie sind nicht in absehbarer
Zeit als Bestandteil der Alltagssprache zu erwarten. Somit läßt
sich neben dem bereits früher ausgeführten Problem einer inadäquaten
Forschungsmethodologie, die allzu schnell in den Mainstream aus Konzept-widersprechender
Analytik fällt (s.o.), das noch umfassendere Problem einer allgemeinen
Reflexions-Methodologie aufwerfen: Wie weit können in einem systemischen
Ansatz Erfahrungen reflektiert, systematisiert, kommuniziert, ja handlungsleitend
vermittelt werden, wenn Sprach- und Denkstruktur einer Kultur wesentlich
anderen Prinzipien folgen, als die von der Theorie entlehnten Konzepte?
Wo und wieweit werden unsere Metaphern im Spannungsfeld zwischen Sprach-
bzw. /Denkstruktur und den inhaltlichen Erkenntnissen zerrieben, und werden
dann so falsch wie z.B. die o.a. Vorstellung vom Elektronen-Spin? (Ohne
aber das für die Physik so wesentliche Korrektiv mathematischer Gleichungen
in einem formalisierten Theoriengebäude und eindeutiger Operationalisierungen
zu haben).
Wie läßt man es systemisch
blitzen?
Die Frage, wie systemische Konzepte über eine a-systemische Sprachstruktur vermittelt werden können, stellt sich m.E. in radikaler Schärfe, seit die Hochblüte systemisch-strategischer Familientherapie vorüber ist, und damit die Sensibilität der Therapeuten, Forscher und Theoretiker für Prozeßphänomene jenseits der reinen Interaktionsstruktur in den kommunikativen Prozessen wieder geschärft wurde: Während im Fokus der Arbeiten im Geiste des Mental Research Institutes von Palo Alto und des Mailänder Ansatzes (besonders in den 70er und 80er Jahren) Aspekte wie ”Begegnung” ”Bedeutung”, ”Sinn” etc. als zu individualistisch verpönt waren, finden wir nun eine zunehmende Rückbesinnung auf solche Aspekte - um nicht gar von ”Werten” zu sprechen. In Perspektiven wie ”Systemische Therapie als Begegnung” (Hildenbrand und Welter-Enderlin 1996), ”Metaphernanalyse” (Buchholz 1993, Lakoff und Turner 1989, Lakoff 1994), oder ”Personzentrierter Systemtheorie” (Kriz 1997a,b) - um wenige exemplarische Beispiele zu nennen - werden auch von ”Systemikern” neben den reinen Strukturen der Kommunikation wieder die Hintergründe und Inhalte sprachlicher Prozesse im Miteinander von Menschen entdeckt. Auch der lange als ”epistemologischer Irrtum” verniedlichte bis vernebelte Aspekt der Macht kann nun beispielsweise wieder nüchterner diskutiert werden (Schmidt-Lellek und Heimannsberg 1995). Neben der Einsicht in die blühende Vielfalt der Praktiker und eine gewisse Müdigkeit gegenüber extremen Positionen hat die Verfechter des systemischen Ansatzes wohl auch der allgemeine Trend konstruktivistischer und postmoderner Ideen (Gergen 1985, 1991, Anderson und Goolishian 1988) und damit verbunden eine ”narrative Wende” (Epstein 1995) zu diesen Einsichten geführt.
Die Bedeutsamkeit, die Sprache auch jenseits reiner Interaktionsmuster im systemischen Ansatz zugemessen wird, hat somit erheblich zugenommen. Nachdem der ”Sinn” wieder Einzug in die Betrachtungen halten durfte, wird beispielsweise verstärkt auf die Geschichten geachtet, mit denen Partner und Familienangehörige sich und ihre Beziehungen, Bilder von Krankheit, Gesundheit und Veränderung, Schuld und Unschuld, Gut und Böse, Ursache und Wirkung, Wahrheit und Lüge, biosomatischer, psychischer und sozialer Eingebundenheit, Macht und Ohnmacht und viele andere Themen des konkreten Lebens darstellen. Das Ziel ist, grob und allgemein gesprochen, die Geschichten (bzw. Narrationen) so zu verändern, daß einengende, destruktive und Entwicklung behindernde Aspekte zugunsten eines größeren Freiheitsbereiches von Interpretations- und Handlungsoptionen umgedeutet werden. Nicht ”die Verhaltensstörung” des kleinen Peter (die er vermutlich von seinem Großvater ”geerbt” hat) ist ”Ursache” an dem Familiendrama, das in die Beratungsstelle führte, sondern einige der Handlungen des kleinen Peter könnten dies oder jenes be-deuten - etwas, mit dem Peter auf seine Wünsche hinweisen oder bestimmte Entwicklungen zur Sprache bringen will. Und es wäre dann ja vielleicht auch möglich, diese Anliegen von Peter auf die eine oder die andere Weise, jedenfalls weniger Leid-tragend, zu realisieren.
Es lassen sich also nicht nur Sprach- und Kommunikationsstrukturen
beobachten und klassifizieren, sondern Sprache dient selbst dazu, Strukturen
darzustellen - von den Mitgliedern der Familie wie von den Therapeuten
und vor allem im therapeutischen Miteinander. Vice versa spiegeln sich
die diese Strukturen (auch) in Sprache; denn bei aller unmittelbaren Erfahrung,
die beispielsweise eine aufgestellte Skulptur auf die Beteiligten hat,
müssen diese Erfahrungen in der Regel auch irgendwie zur Sprache gebracht
werden, damit sie mit-geteilt werden können und damit in der gehörten
Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Erfahrungen selbst wieder spezifische
Erfahrungen gemacht werden können. Solche Meta-Erfahrungen beziehen
sich dann z.B. auf die Unterschiede in den Erfahrungen, auf die Narrationen
dieser Erfahrungen sowie auf die Narrationen über die Unterschiede
und den Umgang mit ihnen. Auch wenn man vielleicht nicht so stark wie Lakoff
und Johnson (1980), Jaynes (1988) und andere hervorhebt, daß wir
die Welt wesentlich durch Metaphern erfahren, so ist doch die Bedeutsamkeit
von bestimmten, oft an Begriffe oder kleine Sprachbilder (Mini-Narrationen)
gebundene Sinn-Kerne (”Sinn-Attraktoren”, Kriz 1997a,b), für Stabilität
bzw. Veränderung in therapeutischen Prozessen sowohl in Einzel- als
auch in Paar- und Familientherapie tägliche Erfahrungspraxis.
Gleichzeitig stellt sich mit der erhöhten Sensibilität
für die inhaltlichen und metaphorischen Aspekte der Sprache im Prozeß
systemischer Psychotherapie das oben skizzierte, nicht unerhebliches methodologisches
Problem: Die Erkenntnisse und Modelle, die mit einer systemischen Betrachtungsweise
verbunden sind, lassen sich mit der Struktur unserer Sprache nicht - oder
nur gewaltsam, umständlich und inadäquat - vereinbaren. Typisch
für eine systemische Betrachtungsweise ist nämlich im Wesentlichen:
prozeßhaftes Geschehen statt verdinglichter Objekte, Rückkopplung
und Nicht-Linearität in diesen Prozeßverläufen sowie ein
nicht-lokales Verständnis von Kausalität. Unsere abendländische
Sprache (genauer: SAE, d.h. standard average european) ist hingegen typisch
verdinglicht und a-prozessual, bringt somit Objekte und Relationen zwischen
ihnen ”zur Sprache”, und vermittelt lokale Kausalitäten. Jeder korrekte
deutsche (französische, englische, spanische...) Satz - und damit
auch die ausgedrückten Gedanken bzw. bereits deren sprachliche Basis
- hat notwendig die Struktur, daß dinghafte Objekte (grammatikalisch:
Subjekte und Objekte) über ein-, zwei- oder mehrstellige Relationen
(grammatikalisch: Prädikate) fest verbunden sind (typisch: ”die Kreide
liegt auf dem Tisch” oder ”Peter ist älter als sein Bruder”). Selbst
bei so klaren Prozessen wie bei jenen, auf die man sich mit ”Blitz”, ”Donner”
oder ”Regen” bezieht (man beachte diese Substantive), muß ein ”Täter”
hinzu erfunden werden: Man sagt: ”es blitzt”, ”es donnert” oder ”es regnet”,
weil ”blitzend”, ”donnernd” oder ”regnend” keine korrekte Form wäre
(vgl. Whorf 1963).
Wie erzählt man die Geschichte von der Bedrohung des Jägers durch seine erlegte Beute richtig?
Damit dies kein abstrakter Exkurs über Sprache wird,
soll dieses Problem an einem einfachen Beispiel demonstriert werden. Dabei
wird bewußt zunächst ein Beispiel jenseits familientherapeutischer
Realität gewählt, weil dort eher einfache, von Metaphern weitgehend
freie ”Fakten” zur Verfügung stehen (man kann also davon ausgehen,
daß das Problem im Bereich ”weicher Realitäten”, die wesentlich
von Sinndeutungs-Spektren bestimmt sind, wohl kaum einfacher wird):
hier ca. Abb. 1 einfügen
Abb. 1 zeigt ein oft gewähltes Beispiel aus der systemischen
Literatur - es wird in der Tat meist gewählt, weil es so überaus
einfach und anschaulich ist, und in diesem Sonderfall nur die Beziehung
zwischen zwei Variablen betrachtet werden muß: Es geht um die Population
von Luchsen und Schneehasen in einem bestimmten Zeitraum (genauer gesagt,
um die Zahl abgelieferter Felle, wir nehmen aber vereinfacht an, diese
entspräche dem Verhältnis der Populationen). Mit etwas systemischer
Erfahrung und einer kurzen Betrachtung ist der Sachverhalt dieses einfachen
und typischen Räuber-Beute-Zyklus recht klar. Wie aber erklärt
man dies jemandem, der das Bild nicht vor Augen hat oder erstmals auf einen
Sachverhalt stößt, der nicht durch unangemessene Reduktion rückkopplungsfrei
narrativiert werden kann (d.h. wie ”erzählt” man einen ”Sachverhalt”,
der für Phänomene des täglichen Lebens zumindest in der
prozessualen Vernetzung typisch, wenn auch vergleichsweise stark vereinfacht
ist)? Sinngemäß würde eine der möglichen, einfachen,
Beschreibungen etwa so aussehen:
”Man beginnt an einem Zeitpunkt, wo beispielsweise
viele Hasen und wenig Luchse vorhanden sind - etwa 1864. Aufgrund der guten
”Beute”-Bedingungen haben die Luchse dann hervorragende Reproduktionschanchen
und vermehren sich rasch. Da sich die Luchse aber weitgehend von den Hasen
ernähren, wird deren Population rasch dezimiert - und zwar um so schneller,
je mehr Luchse vorhanden sind. Wenn die Population der Hasen aber so dezimiert
ist, verschlechtern sich die Reproduktionsbedingungen der Luchse radikal,
viele verhungern. Angesichts der dezimierten Luchse haben nun aber die
Hasen wieder weit bessere Überlebens- und damit Reproduktionschancen.
Deren Population vermehrt sich rasch. Wir finden nun wieder eine Situation
wie zu Beginn, 1864, und der nächste Zyklus kann beginnen”
Ich denke nicht, daß sich das Geschehen bei aller Einfachheit wesentlich einfacher und kürzer (angemessen) beschreiben ließe. Es fällt auf, wie viele Worte und Sätze für einen einzigen Zyklus notwendig sind - im Vergleich beispielsweise zu einem linear-kausalen Sachverhalt: ”Je kräftiger man mir dem Hammer auf einen Nagel haut, desto weniger Schläge sind erforderlich, um ihn ins Holz zu treiben.” Darüber hinaus fällt auf, daß der nicht linear-kausale Sachverhalt in eine Abfolge aus linear-kausalen Teil-Erklärungen aufgegliedert werden mußte (”Wenn viele Luchse vorhanden sind dann werden die Schneehasen rasch dezimiert”). Jede dieser Einzel-Narrationen wird allein dem dynamischen Geschehen nicht gerecht, d.h. man würde am Wesentlichen vorbeigehen, wenn man sich auf die ”Wahrheit” oder Angemessenheit einer solchen Narration verlassen würde. Erst in der umständlichen Aneinanderreihung und in der Kombination im Kopf entsteht ein ”Bild” der dynamischen Struktur. Es sei zudem beachtet, daß diese ”Kombination im Kopf” sprachlich fast überhaupt nicht unterstützt werden kann, sondern daß die Sprache nur die Aneinanderreihung der im einzelnen jeweils inadäquaten Teil-Bilder ermöglicht.
Somit läßt sich unser Problem wie folgt präzisieren:
Wenn die Sprache, mit der wir dieses Bild beschreiben wollen, uns solche
Schwierigkeiten macht, wenn zudem die übliche Sprache dieser Gesellschaft
mit den ”Dingen”, Kausalitäten und statischen Relationen der alltäglichen
(und eines großen Teils z.B. auch der fachpsychologischen) Narrationen,
dem kognitiven Mainstream, so viel besser übereinstimmt, wie können
wir da sicher sein, zu einem hinreichend ”stimmigen” Bild zu gelangen?
Was und wieviel selbst von dieser einfachen Jäger-Beute-Dynamik wird
tatsächlich verstanden (d.h. in einer Weise, daß daraus adäquates
Handeln folgend könnte? Aufgrund der Arbeiten z.B. von Dörner
(u.a. 1989) dürfen wir erhebliche Zweifel anmelden, daß es ohne
weiteres gelingt, Einsichten selbst in elementare systemische Zusammenhänge
derart zu erklagen, daß ein adäquates Handeln möglich wird).
Narrationen der Macht
Begeben wir uns nun, nach diesem extrem vereinfachten Beispiel eines elementaren (systemischen) Sachverhalts, in den Raum therapeutischen Lebens. Wie soll beispielsweise ein so komplexer dynamischer Prozeß angemessen thematisiert werden, der oft mit dem Begriff ”Macht” bzw. ”macht” thematisiert wird, und der sicher einer der zentralen Aspekte mit zahlreichen Facetten und Nuancen in jeder Therapie ist. Schon die scheinbar unschuldige Formulierung: ”mein Mann macht...” stellt stets eine Reduktion dar. Wissen doch Therapeuten aller Richtungen, daß das Tun des Menschen nicht Ausdruck autonom-unabhängiger Macht-Vollkommenheit und Freiheit (um nicht zu sagen: Beliebigkeit) ist. Vielmehr finden wir alles Tun eingebettet in ein komplexes biopsychisches und soziales Geschehen. Was jemand ”macht”, ist daher zugleich auch immer eine Antwort auf Vorausgegangenes - ganz besonders beim Machen innerhalb des Kontextes von Paar- und Familiendynamiken. Spätestens durch die Arbeiten der Palo-Alto-Schule ist die systemische Vernetzung von ”Täter”- und ”Opfer”-Rolle populär geworden. Diese Popularität ändert aber nur wenig an der Schwierigkeit, darüber angemessen zu reden, d.h. Narrationen zu (er)finden, die hilfreich sind und die die komplizierten, verworrenen Dynamiken, um die es oft geht, nicht durch verniedlichen und unangemessenes ent-schuldigen auf eine andere einengende Weise reduzieren. Nehmen wir nun also dieses Beispiel ”Macht”, um die Schwierigkeiten unserer Sprachstruktur zu Vermittlung von Aspekten, die gerade für Systemiker wichtig sind, zu verdeutlichen:
Eingebürgert hat sich die Metapher vom ”Teufelskreis” oder besser der ”Teufelsspirale”- wobei mit ”Spirale” zumindest jenem Aspekt Rechnung getragen wird, daß nichts ganz genau so wiederkehrt, sondern immer nur ähnliche Sequenzen durchlaufen werden, wobei sich die (Interpretations-)Freiheit zunehmend einengt. Doch wird damit nur die äußere Struktur des Geschehens thematisiert, dem die Beteiligten wie Korkenstücke in einem Strudel schicksalhaft unterworfen zu sein scheinen. Wichtig für Veränderungsmöglichkeiten ist daher ebenfalls der Aspekt, daß Menschen in einem Wahrnehmungsfeld operieren und dabei Handlungen sinnhaft hervorbringen. Es schließ also keineswegs Kommunikation an Kommunikation an, wie eine auch in Therapeutenkreisen populäre aber untaugliche Metapher leider suggeriert (z.B. Luhmann 1988). Sondern die kommunikative Handlung von A muß von B aufgenommen, verstanden und in eine eigene sinnhafte kommunikative Handlung umgesetzt werden. Nicht nur Psychotherapeuten ist bekannt, daß bei diesen einzelnen Schritten der Wirklichkeitsverarbeitung bis hin zu Handlungsumsetzung zahlreiche Einflüsse eine Rolle spielen, die Kliniker seit langem mit Begriffen wie z.B. "Abwehrmechanismen", "Fehlschlüsse", "Zwangshandlungen" etc. thematisiert haben.
Damit muß aber eine angemessene Beschreibung zumindest
mehrere Ebenen gleichzeitig thematisieren: Eine beobachtete Abfolge von
Handlungen einer Person A läßt sich einerseits hinsichtlich
der Regelmäßigkeiten (Redundanzen) in bezug auf A selbst untersuchen
- sie werden dann der betreffenden Person zugeschrieben - andererseits
hinsichtlich der Regelmäßigkeit in der Gesamtfolge der Handlungen
aller anwesenden Familienmitglieder - sie werden dann z.B. als "Muster
familiärer Interaktion" verstanden (was den einzelnen eher ent-”schuldigt”).
Es dürfte klar sein, daß keine Perspektive für sich allein
die größere "Richtigkeit" oder "Wahrheit"
beanspruchen kann. Hinsichtlich des Aspektes der Macht haben die beiden
Perspektiven hingegen unterschiedliche Wertigkeit: Werden die Handlungen
der Person A zugerechnet, so sagen wir gewöhnlich, daß A dies
"macht" (sofern A "bei Sinnen" ist, d.h. die Handlungen
nicht irgendwelchen biologisch-physiologischen Sonderbedingungen wie Defekten,
Drogen etc. zugerechnet werden). Wenn dieselben Handlungen hingegen aus
der Perspektive interaktioneller Regeln betrachtet werden, neigen wir meist
eher dazu, einen Teil dieser Macht den "Regeln" zuzuschreiben
- zumindest in einem bestimmten Ausmaß wird dann etwas "mit"
dieser Person ge"macht". Dies taucht natürlich auch in Selbst-Beobachtungen
bzw. in Eigenbeschreibungen auf - etwa indem A äußert, nur "reagiert"
zu haben (z.B. auf B).
Dieselbe Abfolge von Kommunikationen zwischen (z.B.) zwei Personen läßt sich daher nicht nur unterschiedlich Interpunktieren - worauf Watzlawick et al. (1969) verwiesen haben - sondern die Interpunktionen lassen sich zudem noch nach Macht-Zuschreibungen aufsplitten. Nehmen wir das bekannte Beispiel des ins Wirtshaus gehenden Mannes und der nörgelnden Frau: Hier könnten die Interpunktionen nicht nur lauten: "ich gehe ins Wirtshaus, weil Du nörgelst" und: "ich nörgel, weil Du ins Wirtshaus gehst". Beide von Watzlawick et al. (1969) thematisierten Erklärungen sind nämlich Opfer-Narrationen. Daneben gibt es aber auch die Täter-Narrationen: "ich gehe ins Wirtshaus, damit Du nörgelst" und: "ich nörgel, damit Du ins Wirtshaus gehst". Die zweite Interpunktions-Paar-Variante mag zunächst ungewöhnlich erscheinen. Unsere Alltagserfahrung (und noch viel mehr klinische Erfahrung) läßt aber leicht Motive für solches gezielte Handeln finden: So könnte dem Mann z.B. das Nörgeln als willkommener Vorwand dienen, seine Wirtshauseskapaden nicht einschränken zu müssen, oder die Frau könnte durchaus Nutzen daraus ziehen, sich im sozialen Umfeld für ihren "rücksichtslosen Trunkenbold" bedauern zu lassen oder eine Distanz zu ihrem Mann und dessen Wünschen an sie schaffen wollen (um nur wenige mögliche Aspekte zu nennen).
Dort, wo der "Täter"-Anteil gegenüber dem "Opfer"-Anteil in der zirkulären Dynamik bewußter ist, würden Systemiker mehr Veränderungspotential ausmachen, da subjektiv intentionale Handlungen leichter veränderbar sind als subjektive "Reaktionen". Aus eigener therapeutischer Erfahrung weiß ich, wie befreiend es beispielsweise sein kann, selbst bei jungen Frauen mit schweren Mißbrauchserlebnissen während der Kindheit, in der letzten Phase (!) einer Therapie auch den ”Täter”-Anteil bei späteren Erfahrungen ”zur Sprache” zu bringen. Gemeint sind jene Erfahrungen, bei denen immer wieder auch im Erwachsenenalter im Sinne einer Rekonstellation Übergriffe von Männern erlebt werden, wozu mangelnde Abgrenzungsstrategien, Fehldeutungen von Absichten etc. beitragen, die aber ihrerseits natürlich wieder wesentlich mit der Erlebnis- und Handlungsstruktur aufgrund der früheren Erfahrungen im Zusammenhang stehen. Es geht hier nicht darum, Übergriffe zu entschuldigen; doch die Perspektive auf den Täter-Aspekt bei den späteren Konstellationen läßt durchatmen, weil nun etwas ge-macht, d.h. aktiv verändert, werden kann (z.B. sich besser schützen, klarere Grenzen setzen etc.)
Diese Unterschiedlichkeit der Perspektiven, bei der man
sich einmal eher als "Macher" sieht, ein anderes mal eher als
jemanden, "mit dem etwas gemacht" wird, ist typisch für
ein systemisches Verständnis von Macht. Gleichwohl: Wie läßt
sich diese Einsicht vermitteln, in einem kognitiven gesellschaftlichen
Mainstream (in struktureller Übereinstimmung mit dem gewaltigen Sprachstrom
unserer Alltagswelt), in dem nach einzelnen Ursachen, Tätern und Wirkfaktoren
gefahndet wird? Wie läßt sich Verständnis vermitteln, wenn
im Mainstream ”Verständnis” schnell als ”Ent-Schuldigung” mißgedeutet
wird, weil die Haftbarmachung eines oder weniger verursachender ”Schuldiger”
das allgemeine Gewissen beruhigt und die beängstigende Komplexität
der Welt auf einfache Ordnungen reduziert (man erinnere sich an die kognitive
”Bewältigung” des ”Dritten Reiches” oder des DDR-Regimes). Und diese
Schwierigkeit, über Macht angemessen zu kommunizieren, war hier ja
nur exemplarisch ausgewählt. Das Problem, im gesellschaftlichen Mainstream
einfacher Tatsachen, Wirkungen und Urheber mit unseren systemischen Einsichten
und Perspektiven mißverstanden zu werden, kann gar nicht unterschätzt
werden - und es betrifft zahlreiche Themen im therapeutischen Raum. Folgt
man noch der These (Kriz 1997b), daß der gesellschaftliche Reduktionismus
ein Angst-Abwehr-Mechanismus ist, der vor den Unsicherheiten durch zu viel
Komplexität schützen soll, so dürfen wir uns nicht wundern,
wenn humanistische und systemische Konzepte nicht nur auf Unverständnis
sondern auch auf heftige affektive Ablehnung stoßen, denn sie unterminieren
das Sicherheits- und Kontrollbedürfnis.
Schlußbemerkungen
Gerade, wenn wir uns damit abfinden, daß es gegenwärtig keine allgemein verständlichen Metaphern für das gibt, was uns als Systemiker als wesentliche Einsichten leitet, daß sogar jeder Satz, den wir miteinander sprechen, diesen Einsichten strukturell eher zuwiderläuft, können wir unsere Aufgabe ernst nehmen, uns darauf zu beschränken, insbesondere günstige Umgebungsbedingungen bereitzustellen, in denen Menschen Erfahrungen machen und ihre lebensgeschichtlich begrenzten Erfahrungsräume (immer einschließlich der damit verbundenen Narrationen) selbst erweitern können. Es wird keine ”richtigen” Narrationen geben, nicht einmal ”angemessene”, sondern nur mehr oder minder ”hilfreiche” - und selbst das nur für eine begrenzte Zeitspanne. Das Tao, über das man redet, ist nicht das Tao, heißt es (analog zu anderen Weisheitslehren - z.B. dem Bilderverbot im alten Testament); das ”Elektron” und sein ”Spin”, über das wir reden können, wird dem Wesen heutiger physikalischer Erkenntnis nicht gerecht; was immer wir als Systemiker im therapeutischen Raum sagen, es wird dem Wesentlichen der Phänome nicht gerecht. Je stärker das, was wir vermitteln wollen, das Wesentliche des Systemischen berührt, desto untauglicher ist die Struktur unserer Sprache, desto inadäquater werden unsere kognitiven Mainstream-Metaphern, desto größer ist die Gefahr von Mißverständnissen - besonders dann, wenn versucht wird, das Mitgeteilte ”richtig” zu verstehen, statt z.B. die Widersprüche auszuhalten und wirken zu lassen. Und, nebenbei, daher werden auch die Effektivitätsbelege, die wir den anderen in der wissenschaftlichen Kommunikation vorweisen können, dem Systemischen nicht gerecht, wenn wir verstanden werden wollen (bzw., andersherum, je mehr sie dem Systemischen gerecht werden, desto mehr provozieren sie Unverständnis).
Sorgfältig eingesetzt, die Gefahr von Mißverständnissen
stets vor Augen (wofür z.B. Bert Hellingers ”Ordnungen der Liebe”,
1994, und die Diskussion darum, reichlich Anschauungsmaterial liefern),
und daher auch stets im lebendigen korrigierenden Kontakt bleibend, lassen
sich die Grenzen unserer Sprache schon überwinden - insbesondere bei
leidenden Menschen, die sich oft zusätzliche Beschränkungen in
ihren Narrationen auferlegt haben. Dem Weg der Vermittlung systemischer
Metaphern in der Praxis sind allerdings eben solche Grenzen gesetzt wie
der herkömmlichen Forschungsmethodik im Rahmen des systemischen Ansatzes.
Diese Grenzen zu respektieren - und sich gleichwohl handelnd auf die Unvollkommenheit
einzulassen - könnte eine bescheidene und bescheidende Einsicht sein,
die aus den Überlegungen zu ziehen wäre.
Literatur
Anderson H, Goolishian HA (1988) Human Systems as Linguistic Systems. Family Process, 27: 371-393
Buchholz MB (1993) Metaphernanalyse. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
Dörner D (1989) Die Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Rowohlt, Reinbek
Epstein EK (1995) The Narrative Turn. Postmodern Theory and Systemic Therapy. Gestalt Psychology, 17: 171-183
Gergen K (1985) The Social Constructionist Movement in Modern Psychology. American Psychologist, 40: 266-275
Gergen K (1991) The Saturated Self. Basic Books, New York
Hellinger B (1994) Ordnungen der Liebe. Carl Auer, Heidelberg
Hildenbrand B, Welter-Enderlin R (1996) Systemische Therapie als Begegnung. Klett-Cotta, Stuttgart
Kriz J (1997a) Systemtheorie. Eine Einführung für Psychotherapeuten, Psychologen und Mediziner. Facultas, Wien
Kriz J (1997b) Chaos, Angst und Ordnung. Wie wir unsere Lebenswelt gestalten.: Vandenheock & Ruprecht, Göttingen/Zürich
Lakoff G, Turner M (1989) More than Cool Reason. A Field Guide to Poetic Metaphor. Univ.Chicago Press, Chicago
Lakoff G (1994) Contemporary Theory of Metaphor. In: Ortony A (Hrsg) Metaphor and Thougt. Cambridge University Press, Cambridge, Mass. S. 202-250
Luhmann N (1988) Sozialsystem Familie. System Familie 1:75-91
McLulich DA (1937) Fluctuations in the number of varying hare. Toronto Univ. Press
Schmidt-Lellek CJ, Heimannsberg B (Hrsg)(1995) Macht und Machtmißbrauch in der Psychotherapie. Edit. Humanist. Psychologie, Köln
Watzlawick P, Beavin JH, Jackson DD (1969) Menschliche Kommunikation. Huber, Bern
Whorf BL (1963) Sprache, Denken, Wirklichkeit. Rowohlt,
Reinbek
Fazit für die Praxis
Folgt man der Argumentation, so sind systemische Konzepte und Einsichten (besonders die Prozeßdynamik und die Verknüpfung von Täter- und Opfer-Perspektiven) mit unserer a-systemischen, indo-europäischen Sprachstruktur (mit Objekten und statischen Beziehungen) nicht angemessen vermittelbar. Es ist daher gut, mit Mißverständnissen zu rechnen, ja sogar in Rechnung zu stellen, daß die Komplexität systemischen Denkens auf affektive Ablehnung stoßen kann. Ein behutsames im-Kontakt- (und in korrigierender Rückkopplung-) Bleiben und Sprache eher zur Erfahrungsgestaltung einzusetzen kann diese Probleme zwar nicht beseitigen, aber mildern.
Zusammenfassung
In Ergänzung zu einem früheren Beitrag, in dem die Unangemessenheit klassischer Methoden zur wissenschaftlichen Untersuchung von systemischen Phänomenen herausgearbeitet und kritisiert worden war, wird nun die grundsätzliche Unangemessenheit unserer indoeuropäischen Sprachstruktur zur Vermittlung systemischer Konzepte und Einsichten herausgearbeitet. Dynamische Prozesse, mit der typischen Vernetztheit der Phänomene und zirkulären Beziehung zwischen Täter- und Opferdynamiken lassen sich kaum angemessen in einer dinghaften, an einfach-isolierbaren Ursache-Wirkungs-Ketten orientierten Sprache darstellen. Dies wird u.a. exemplarisch am systemisch verstandenen Phänomen der ”Macht” aufgezeigt und diskutiert.
Problems of systemic narratives in psychotherapy (springer -korrigiert)
Summary
Some years ago we discussed some methodological problems which arise when classical methods are used in order to investigate systemic phenomena. In this contribution we are going to discuss an even more fundamental aspect of systemic methodology which concerns the relationship between the structure of the so-called Standard Average European (SAE) languages and the structure of non-linear systems theory. It is argued that in SAE aspects such as circularity can barely be described. For example, it is not possible to convey the cyclical relationship of victims and perpetrators in an adequate manner. By considering the notion of "power” in systems therapy some problems are highlighted and discussed.
Prof. Dr. Jürgen Kriz, Universität Osnabrück, FB Psychologie, Fach: Klinische Psychologie, D-49069 Osnabrück
Jürgen Kriz, Jg. 1944, Dr. Phil, Professor an der Universität Osnabrück im FB Psychologie, Fach: Klinische Psychologie, und am FB Sozialwissenschaften, Fach: Empirische Sozialforschung, Statistik u. Wissenschaftstheorie. Psychotherapeut (in der GwG) und Ausbilder für klientzentrierte Psychotherapie. Korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse. Im Rahmen seiner "Personzentrierten Systemtheorie” Arbeit an der Verbindung von naturwissenschaftlich fundierter Systemtheorie (Synergetik) mit Psychotherapie und Bewußtseinsphänomenen; ferner: Fragen der Forschungsmethodik. 150 Beiträge und 15 Bücher über methodische und klinisch-therapeutische Fragen, u.a. Grundkonzepte der Psychotherapie (4. Aufl 1994), Chaos und Struktur (1992), Systemtheorie f. Psychotherapeuten (1997), Chaos, Angst und Ordnung (1997)