Unter allen Notständen denen Fachleute begegnen, ist keiner
dringlicher als die suizidale Krise. Psychologen, Sozialarbeiter,
Psychiater und Pädagogen sind oft ganz hilflos dem erklärten
Selbstmörder gegenüber, weil Therapie und Beratung Zeit
benötigen, um ein gutes Verhältnis und eine offene Zwiesprache
zu entwickeln. Das ist aber meistens unrealistisch in einem Zustand
der suizidalen Krise, die oft rasch in ein tragisches Ende umschlägt.
Einige suizidale Fälle, die letztens zu unserer Kenntnis
gebracht wurden, betonen diese berufliche Hilflosigkeit mit der
größten Klarheit. In zwei dieser Fälle, hatten
sich die erklärten Selbstmörder (ein Jugendlicher und
ein Mädchen im Militärdienst in Israel) mit einer Waffe
eingeschlossen, und einige Fachleute und Vorgesetzte versuchten
(in einem Fall fünfzehn Minuten und in dem anderen drei Stunden
lang) sie von der Tat vergebens abzuhalten. Beide Jugendlichen
brachten sich um. In unseren Gesprächen mit den Leuten, die
involviert waren, wurde klar, daß sie keine klaren Begriffe
oder Vorschriften hatten, die ihnen helfen könnten, mit dem
Selbstmörder zu kommunizieren. Freilich handelten sie so
gut sie konnten. Wir können aber annehmen, daß sie
die Bürde ihres tragischen Scheiterns nicht leicht tragen.
Ist es überhaupt möglich einen Grundtext für die
Vorbeugung des Selbstmords zu verfassen, der relevant für
die meisten Menschen in einem solchen Zustand sein könnte?
Ein solcher Text sollte auf den laufenden Forschungskenntnissen
basieren. Zugleich sollte er aber ziemlich einfach und zugänglich
sein, damit er auch unter Bedingungen äußerster Dringlichkeit
benutzt werden könnte. Es ist das Ziel dieses Artikels einen
solchen Text vorzuschlagen.
Unser Unternehmen hängt von einer positiven Antwort zu folgender
Hauptfrage ab: Gibt es laut der riesigen Forschungsliteratur über
Selbstmord irgendwelche Kennzeichen, die die Mehrheit der Selbstmörder
charakterisiert? Die Antwort lautet erstaunlicherweise ,,Ja!
(Shneidman, 1985; Shneidman, Farberow and Litman, 1976).
Zwei charakteristische Verfahren wurden von mehreren Forschern
als kennzeichnend für den Selbstmörder festgestellt.
Erstens fühlt sich der Selbstmörder ganz allein. Es
ist ihm, als ob er jenseits von jeder möglichen Hilfe wäre.
In dieser Hinsicht können wir sagen, daß die suizidale
Tat aus einem Gefühl von totaler Einsamkeit entsteht Es gibt
hier einen Teufelskreis, weil gerade die Haltung des Selbstmörders
die Einsamkeit, unter welcher der Selbstmörder leidet, vertieft.
Wie? Weil, je ernster die suizidale Absicht ist, desto stärker
die Ablehnung aller äusseren Hilfsversuchen. Der Selbstmörder
fühlt, daß keiner seinen Schmerz ermessen kann: nie
war ein Mensch so deprimiert, so verzweifelt oder so gedemütigt
wie er; keiner kann wirklich sein dunkles Erlebnis nachvollziehen.
Uberdies fühlt der Selbstmörder, daß jeder Versuch,
ihn von der Tat abzuhalten, seinen Schmerz nur verlängern
kann. Deswegen müssen alle Hilfeversuche unbedingt abgelehnt
werden. Der Selbstmörder bleibt also allein, aus eigener
Wahl, ebenso wie aus der Unfähigkeit anderer, ihm nahezukommen.
Zweitens ist der Blickwinkel des Selbstmörders auf die Welt
drastisch eingeschränkt. Nach und nach entwickelt der Selbstmörder
eine Tunnelsicht, die den Eintritt jeglichen äußeren
Einflusses blockiert. Für jemanden, dessen Finger von einer
zuschlagenden Tür gegriffen ist, gibt es nichts in der Welt
außer Finger und Schmerz. Ebenso für den Suizidanten:
der Schmerz macht die ganze Welt aus, und ihm kommt es auf nichts
anderes an, als auf den Schmerz. Es ist aber ein Irrtum, den Selbstmörder
als ein Sollipsist zu denken, für den die äußere
Welt keine weitere Bedeutung hätte. Im Gegenteil! Mehrere
Selbstmörder schreiben Scheidungsbriefe und kümmern
sich sehr um den Eindruck, den sie hinterlassen. Dieser Spalt
in dem psychologischen Panzer des Selbstmörders, bietet dem
Helfer einen möglichen Eintrittspunkt.
Diese Kennzeichen erschöpfen nicht die mannigfaltigen Faktoren,
die eine Rolle im Suizid spielen. Gleichwohl können wir behaupten,
daß das Gefühl von Einsamkeit und die Einschränkung
des Blickwinkels wahrscheinlich die allgemeinsten und eigentlichsten
Kennzeichen der suizidalen Phänomenologie sind. Als solche
bieten sie einen festen Grund für unsere antisuizidale Botschaft
an. Aus diesen beiden Kennzeichen lässt sich die Haltung
des Helfers herleiten:
a) Die teilnehmende Haltung: Eine Haltung von Teilnahme
dem Leiden und Notstand des Suizidanten gegenüber ist die
angemessene Antwort auf sein Gefühl von Einsamkeit. Diese
Haltung liegt in tiefstem Gegensatz zu der Distanz, die Fachleute
manchmal charakterisiert. Eine Haltung von therapeutischer Distanz
oder Abstinenz könnte zwar den Therapeuten schützen;
der Suizidant aber würde sich dadurch noch isolierter fühlen.
Die teilnehmende Haltung liegt auch in Gegensatz zu einer konfrontierenden
Haltung, wobei der Helfer dem Suizidanten einzureden versucht,
daß die beabsichtigte Tat unrecht und unakzeptabel ist.
Wie wir sehen werden, muß eine Konfrontation entstehen,
jedoch wenn sie die ganze helfende Botschaft ausmacht, ist die
Botschaft zum Scheitern verurteilt. Erst muß sich der Helfer
an die Seite des Selbstmörders begeben und dadurch, wenn
auch nur höchst teilweise sein Gefühl von Einsamkeit
erleichtern. Zu diesem Zweck muß der Helfer eine durchgehende
teilnehmende Haltung adoptieren, selbst dann wenn er das Gefühl
des Selbstmörders. daß der Tod der einzige Ausweg zu
sein scheint, bestätigt. Nur durch eine solche Bestätigung
kann der Helfer hoffen, daß der Selbstmörder bereit
sein wird, seine weitere Botschaft anzuhören.
b) Die herausfordernde Haltung: Nachdem der Helfer sich
durch die teilnehmende Haltung an die Seite des Selbstmörders
begeben hat, ist er imstande, sich gegen den Suizid ganz offen
auszudrücken. Jetzt ist es an der Zeit Themen zu erheben,
die der Selbstmörder wegen seiner Tunnelsicht augenblicklich
nicht wahrnehmen kann, z.B. das zu erwartende Leid von Eltern,
Kindern, Geschwistern und Freunden, das Vorhandensein von anderen
möglichen Auswegen, das eventuelle Abebben des Schmerzes
und die Möglichkeit, daß der suizidale Entschluss auf
einem Irrtum beruht (Elitzur, 1992; 1995). Genauso wie sich der
Helfer durch die teilnehmende Haltung gegen die Einsamkeit des
Selbstmörders gestellt hatte, versucht er jetzt durch die
herausfordernde Haltung, seine Tunnelsicht zu überwinden.
Die herausfordernde Haltung liegt im Gegensatz zu der Tendenz
mehrerer Helfer sich mit dem Ausdruck von Verstand und Empathie
zu begnügen, ohne jeglichen Versuch, antisuizidale Botschaften
dem Suizidanten zur Kenntniss zu bringen. Die herausfordernde
Haltung kontert auch die berufliche Tendenz, sich jeglicher Verurteilung
zu enthalten, eine Einstellung, die den Helfer in einer suizidalen
Krise ganz und gar lähmen könnte. Unserer Meinung nach
sind wir in diesen Fällen verpflichtet, den beruflichen Reflex
von Verurteilungsabstinenz zu überwinden.
Die teilnehmende und die herausforderne Haltung sind dialektisch
verbunden: je überzeugender die Teilnahme des Helfers, desto
fähiger ist er, den Selbstmörder herauszufordern, und
umgekehrt. Also wenn wir uns an die Seite des Selbstmörders
begeben und unser empatisches Verstehen der suizidalen Absicht
ausdrücken, gewinnen wir auch seine Rezeptivität für
unsere antisuizidale Botschaften. Wenn wir wiederum die suizidale
Absicht herausfordern, zeigen wir, daß unsere Empathie und
Teilnahme nicht nur das stets billigende ,,Hmmm-hmmm eines
lauwarmen Helfers ist, sondern die bedeutsame Bekräftigung
eines, der auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen wagt.
Ein Text gegen Suizid
Es gibt unseres Wissens keinen Grundtext in der Literatur, auf
den sich Helfer berufen können, um mit dem Suizidanten zu
sprechen. Der Mangel eines solchen Textes könnte darauf zurückgeführt
werden, daß jeder Suizidfall einzigartig ist, und deshalb
kein Text allgemeine Relevanz beanspruchen könnte. Diese
Erklärung ist aber unzulänglich. Zum einen könnte
ein Grundtext die Formulierung von Texten, die auf den Einzelnen
abgestimmt sind, erleichtern. Ein solches Verfahren ist üblich
z.B. in der Hypnotherapie, wo Grundtexte bestehen, die sehr behilflich
für die Verfassung von individuell angepassten Texten sind.
Das Vorhandensein solcher Texte ermöglicht dem Therapeuten
eigentlich eine größere Flexibilität in der Verfassung
individueller Variationen. Zum anderen pflegen Leute in extremen
Situationen anders als in gewöhlichen Zuständen ähnlich
zu reagieren. Trotsky (1932) hat bemerkt, daß Leute unterschiedlich
reagieren, wenn sie von einer Feder gekitzelt, aber ähnlich
wenn sie von einem glühenden Eisen berührt werden. Das
Gleiche gilt für seelische Schmerzen. Trotz aller Unterschiede
führt die Suizidale Qual zu einer beindruckenden Ähnlichkeit
unter Selbstmördern. Diese Ähnlichkeit, die sich in
den fast universellen Erscheinungen des Gefühls von totaler
Einsamkeit und der Tunnelsicht des Selbstmörders offenbart,
ist ein starkes Argument für die Verfassung eines Grundtexts.
Ein weiteres psychologisches Argument gegen einen antisuizidalen
Text entsteht aus dem Widerwillen der meisten Fachleute (Therapeuten)
allen Einredungsversuchen gegenüber. Therapeuten werten die
Enthaltsamkeit aller Verurteilung als eine der wesentlichsten
Eigenschaften ihres Berufs. Diese Haltung ist dennoch verkehrt,
wenn es sich um eine selbstmörderische Krise handelt. Die
meisten Leute (uns eingeschlossen) würden sich berechtigt
fühlen, einen selbstmörderischen Versuch selbst durch
Gewalt zu verhindern. In mehreren Ländern gilt das Versäumnis,
den Tod eines anderen zu verhindern, wenn man es zu tun imstande
wäre, als ein Verbrechen. Es ist diese besondere Stellung
der suizidalen Krise, die uns moralisch und beruflich rechtfertigt,
selbst die mächtigsten abwehrenden Botschaften anzuwenden.
Aus diesen Gründen haben wir den folgenden antisuizidalen
Text verfasst. Der Text ist kursiv gedruckt. Er ist begleitet
von Erklärungen die in normalem Druck erscheinen. Wir bieten
diesen Text als eine Einladung für Variationen, Ergänzungen
und kritischen Bemerkungen an. Wir hoffen, daß die Vertrautheit
mit diesem Text, potenziellen Helfern nützlich sein kann,
sie auf verschiedene Reaktionen des Selbstmörders vorzubereiten.
Z.B. ermöglicht der Text dem Helfer, ununterbrochen zu sprechen,
bis eine Antwort kommt, wenn der Selbstmörder lange schweigend
bleibt; dagegen hilft der Text die Kontinuität der Rede aufrechtzuerhalten,
falls der Selbstmörder den Helfer ununterbrochen stört,.
Der Text
Der Text ist in zwei Hälften geteilt. Die erste drückt
die teilnehmende und die zweite die herausfordernde Haltung aus.
Ich heiße Haim. Wie heißt du?
Einige Fragen, die wir in den Text eingeschlossen haben, sind
nicht genau die, die stets gestellt werden sollten, weil in jedem
Fall andere Fragen im Platz sind. Die Fragen bezeichnen die Versuche
des Helfers, eine Zwiesprache, sei sie auch so winzig, zu beginnen.
Die Bedeutung des Namens des Selbstmörders kann für
die Hilfsversuche kaum übertrieben werden. Wir haben den
Namen Ron gewählt in Gedanken an den israelischen Dichter
Ron Adler, der sich 1976 in dem Alter von 19 Jahren umbrachte.
Ron? Hallo Ron. Ich will mit dir im Namen einer der Teile,
die sich in deinem Inneren streiten sprechen: der Teil der noch
leben will. Ich will diesen Teil vertreten, weil auch beim Gericht,
sogar in einem totalitären Staat, sogar bei der Inquisition,
jeder Mensch das Recht auf einen Verteidiger hat Du aber hast
dich als Anwalt, Richter und Henker in einem ernannt Deshalb bitte
ich um das Recht, als Dein Verteidiger zu sprechen.
Solange die suizidale Tat ausbleibt, können wir annehmen,
daß der Lebenswille noch vorhanden ist. Shneidman (1985)
sprach von dem ,,Parlament der Seele, der im Innern
des Selbstmörders fortwährend Diskussion hält.
Die Metapher ist hoffnungsvoll, da sie suggeriert, daß das
Leben in der endgültigen Abstimmung gewinnen kann. Das Ziel
des Helfers ist also nicht gerade das Pendel von Tod zum Leben
völlig zurückzuschwingen (ein anmessendes Ziel), sondern
eine Bewegung, sei sie auch noch so klein, zu erzielen, die das
Gleichgewicht in die erwünschte Richtung kippen könnte.
Ich bin mir bewußt, daß du dich in einem Zustand
befindest, den man als den tiefsten Punkt des menschlichen Leidens
annehmen kann. Der Schmerz, unter dem du leidest, und der noch
größere Schmerz, unter dem du künftig zu leiden
fürchtest ist riesig. Für dich handelt es sich um einen
unerträglichen Zustand, in dem man einfach nicht weiter leben
kann. Du musst also etwas tun, um den Schmerz zu stillen. Aber
es gibt nichts zu tun: Du fühlst dich wahrscheinlich ganz
hilflos gegen die Mächte, die den Schmerz erzeugen, gegen
das Pech, das Böse und die Gleichgültigkeit die dich
umgibt
Ich erkenne das Ausmaß und die Legitimität deines
Schmerzes an. Manchmal kommt man zu einem Punkt, wo man sagen
muß: Genug! Bishier konnte ich leiden, weiter nicht! Ich
glaube, daß du zu einem solchen Zustand gekommen bist. Ich
werde jedoch versuchen, von anderen Möglichkeiten und Richtungen
zu sprechen, weil ich glaube, daß es in deinem Inneren auch
eine andere Stimme gibt, die anders denkt.
Vielleicht denkst du dir, wer ist dieser Besserwisser, der
mich verführen will, damit ich mich nicht umbringe? In deinen
Augen bin ich vielleicht nicht mehr als ein Fachmann, der Geld
bekommt, um sich in das Leben anderer Leute einzumischen. Einer
der nur auf die Gelegenheit lauert, dich zu verlocken, damit du
von deiner Absicht wegkommst Ich bitte dich, mir zu glauben, daß
es anders ist. In diesem Augenblick bin ich nicht nur Psychologe
oder Polizist oder Sozialarbeiter, sondern auch ein Mensch, der
im innersten erschüttert ist, von der Tat, die du zu begehen
beabsichtigst
Diese extreme Situation fordert von dem Helfer, daß er offen
spricht. Die argwöhnische Empfindlichkeit des Selbstmörders
wird wahrscheinlich jeden Tarnungsversuch entlarven. Deshalb ist
es besser, jegliche Reaktion, die in solchen Zuständen zu
erwarten ist, sofort zu bekennen z.B. die Angst, daß der
Suizid jeden Augenblick geschehen kann. Diese Selbstenthüllung
kann auch helfen, den Kontakt zu erleichtern.
Ich will vorweg erklären, daß ich nicht unter allen
Umständen gegen Selbstmord bin. Ich bin nicht der Meinung
daß Selbstmord immer eine Todsünde ist. Manchmal kommt
ein Mensch zu dem Schluß, dass es besser wäre, mit
seinem Leben abzuschließen. Unter gewissen Umständen
würde ich einen solchen Schluß bewilligen. Auch in
deinem Falle, will ich erklären, wenn du nach unserem Gespräch
bei deiner Absicht bleibst, daß ich dich nicht weiter stören
werde.
Das Ansprechen dieser Haltung kann helfen, die antisuizidale Botschaft
zu überbringen. Den ganzen Text hindurch versucht der Helfer
zu sagen, dass eine Entscheidung für das Leben, eine positive
Möglichkeit von dem Standpunkt des Selbstmörders und
nicht von dem eines abstrakten Grundsatzes darstellt. Es ist fast
unmöglich zu glauben, daß der Selbstmörder, wenn
er schon so weit ist, von einem metaphysischen Glauben an die
Heiligkeit des Lebens, beinflusst werden könnte.
Wenn ich dich richtig verstehe, gibt es für dich nur einen
Ausweg aus dem jetzigen Alptraum: Das Bewusstsein auszulöschen,
alle Möglichkeit etwas zu fühlen, ganz und gar auszuschalten.
Wahrscheinlich fühlst du, dass dein Zustand, der schon ganz
unerträglich ist, noch schlimmer zu werden droht Es ist als
ob der jetzige Schmerz nur der Eingang zu noch tieferem Schmerz
sein könnte. Deshalb sieht es aus, als ob es besser wäre,
die Tat ohne Aufschub zu begehen. Tätest du es nicht, würdest
du dich nur zu endlosem Leiden, Einsamkeit, Scham und Verachtung,
verurteilen. Vielleicht denkst du dir: Wenn ich auf meine Entscheidung
verzichte, wenn ich nicht den Mut dazu habe, werde ich mich der
härtesten Strafe unterziehen müssen.
Könnten nicht diese Wörter die suizidale Absicht verstärken?
Wir glauben diese Sorge ist grundlos. Wenn wir den Denkablauf
des Suizidanten ansprechen, begeben wir uns an seine Seite. Unsere
Glaubwürdigkeit ist dadurch verstärkt, nicht die suizidale
Absicht. Der Suizidant kann sehen, dass wir die Dinge nicht beschönigen.
Das wird hoffentlich seine Bereitschaft uns zu hören vergrößern.
In diesem Zustand fühlst du dich ganz allein. Im Angesicht
des Todes fühlst du dich wahrscheinlich endlos einsam. In
dieser bodenlosen Einsamkeit gibt es nur eine Wirklichkeit: Den
Schmerz. Und nur eine Lösung: Den Tod.
Vielleicht fragst du dich, warum ich solche Dinge sage, warum
ich die vernünftige Seite deines selbstmörderischen
Vorsatzes bestätige. Vielleicht fragst du dich: ,,Auf eine
solche Weise will er mir helfen? Meine Antwort ist, daß,
wenn ich dein Gefühl nicht äußere, deinen Schmerz
nicht verstehe, du nicht auf mich hören wirst Übrigens
glaube ich, daß du nicht nur sterben, sondern auch leben
willst; daß es noch eine Stimme in deinem Inneren gibt,
die für das Leben stimmt.
Ich glaube, Ron, daß ich verstehe, wo du dich befindest.
In welchem tiefen Abgrund und in welcher Verzweiflung.. Ich glaube,
daß du nicht aus freiem Willen in diesen grausamen Zustand
eingetreten bist. Ich bin überzeugt, wenn du nur einen anderen
Ausweg sehen könntest, hättest du nicht den Tod gewählt.
Deshalb sehe ich deine Absicht als eine ehrliche Absicht an. Ich
respektiere sie, weil ich glaube, daß du anders handeln
würdest, wenn du nur könntest
Die Selbstachtung des Suizidanten ist wahrscheinlich am niedrigsten
Punkt. Wie könnten wir dann unsere Würdigung und unseren
Respekt für ihn in einer akzeptierbaren Weise ausdrücken?
Ein möglicher Weg ist Respekt und Würdigung der suizidalen
Logik zu zeigen.
Am nächsten Abschnitt beziehen wir uns auf den individuellen
Grund der suizidalen Absicht (angenommen wir wissen etwas darüber,
sei es von vorigen Kontakten, von der Rede des Suizidanten oder
aus anderen Quellen). In unserem Beispiel war der angebliche Grund
Misserfolg an der Universität.
Für dich, hat die Ablehnung von der Universität den
Wert des Lebens ganz und gar entzogen. Soweit ich verstehe, waren
die Studien dein Hauptwunsch und Hoffnung. Der Erfolg wurde zu
der wichtigsten Probe deines menschlichen Wertes. Für dich
bedeutet diese Niederlage nicht nur das Ende eines akademischen
Traums, sondern auch die Vertreibung von jeglichem Gefühl
der Würde und Ehre. Deshalb befindest du dich jetzt in einem
Zustand, indem du dich als total wertlos und verachtenswert fühlst.
Für dich ist das der endgültige Beweis, daß du
gescheitert bist. Vielleicht fühlst du sogar, daß die
Welt ohne dich ein besserer Platz wäre.
Die teilnehmende Haltung enthält die Würdigung der Werte
und Ziele, um die der Suizidant sich bereit fühlt, sein Leben
aufzugeben. Wäre z.B. der Anlaß für die suizidale
Krise eine romantische Enttäuschung gewesen, würde es
dann notwendig sein, eine ähnliche empathische Haltung für
die Bedeutung romantischer Liebe für den jungen Suizidanten
zu zeigen.
Vielleicht fühlst du dich auch anders: daß andere
Leute dich schlecht behandelt haben und es deshalb verdient haben,
durch deinen Tod bestraft zu werden. Vielleicht warst du verlassen,
verraten oder missbraucht Es wäre dann richtig, diesen Leute
zu beweisen, wie schlecht sie dich behandelt hatten. Oder vielleicht
bist du so verzweifelt, daß du dich einfach nicht mehr darum
kümmerst, was mit den anderen passiert; daß du kaum
an sie denken kannst, geschweige denn ihre Gefühle berücksichtigen.
Der Schmerz verblendet und nur eines bleibt klar: daß der
Schmerz weg muß. Ich muss gestehen, dass auch ich pessimistisch
werde, wenn ich diese Gedanken äussere.
Wir haben jetzt den niedrigsten Punkt unserer Rede erreicht: Der
Helfer schließt sich dem Suizidanten an, in seiner Verzweiflung.
Dieser Punkt bezeichnet auch den Schluss des ersten Teils, der
die teilnehmende Haltung ausdrückt.
Aber vielleicht müssen wir nicht so pessimistisch bleiben.
Ich bin sicher, dass auch andere vielleicht noch stillschweigende
Gedanken in dir vorhanden sind. Ich will meine Stimme auch diesen
Gedanken leihen.
Hiermit bezeichnet der Helfer den Übergang zum zweiten Teil
des Textes, nämlich dem herausfordernden Teil. Es ist äußerst
wichtig, daß der Helfer auch in dem herausfordernden Teil
seiner Rede, den Kontakt und die Nähe, die er hoffentlich
erreicht hat, aufrechtzuerhalten versucht.
Zuerst will ich dir versprechen, daß ich dich, wenn du
so willst, nicht verlassen werde, wenn der jetzige akute Notstand
vorüber ist. So gut ich kann, werde ich versuchen dir beizustehen,
um nach einer Lösung zu suchen. Wenn du vom Dach herabkommst,
werde ich mit allen Mitteln versuchen, dir zum Leben zurückzuhelfen.
Ich bin mir bewusst, dass ich mich dir hiermit stark verpflichtet
habe.
Jeder Helfer muß überlegen ob er bereist ist, sich
diese Selbstverpflichtung aufzuerlegen. Fühlte sich der Helfer
nicht bereit sie einzuhalten, dann wäre es besser, daß
es sie nicht oder eine geringere Verpflichtung gäbe.
Du hast mir bislang zugehört, und ich danke dir dafür.
Vielleicht hast du mir zugehört, weil es zutraf, was ich
über deinen Schmerz gesagt habe. Jetzt will ich dich bitten,
mich weiter anzuhören, wenn ich als dein Verteidiger gegen
den Tod spreche. Es ist als ob der Tod dich zu überzeugen
versuchte, zu ihm zu rücken. Ich will dich dagegen zu überzeugen
versuchen, hier zu bleiben.
Die Charakterisierung des Todes als ein äußerer Feind
(White and Epston, 1990), der dem Suizidanten eine Falle stellt,
erlaubt dem Helfer zu einer herausfordernder Haltung zu rücken,
ohne die teilnehmende Haltung preiszugeben. Die Teilnahme drückt
sich nun, durch die Identifizierung des Helfers mit dem Teil des
Suizidanten, der weiter leben will, aus.
Eine des Todes trügerischste List ist, daß er dich
so durch den Schmerz blendet, dass alles andere fast aufhört
zu zählen. Der Tod benutzt deinen Schmerz, um alles was gut
und wichtig ist, wegzugaukeln. Deine Freunde, Eltern und kleine
Schwester werden dabei entfernt und weggewischt. Ein endloser
Abgrund tut sich zwischen dir und allen anderen auf.
Hiermit sprechen wir die Einsamkeit des Suizidanten an.
Dir sind gewiss andere ähnliche Zustände bekannt.
Du weisst, was passiert, wenn man z.B. seekrank ist. In dem Augenblick
kommt es nur darauf an, die Übelkeit loszuwerden. Leute in
diesem Zustand äußern sich so, als ob es besser wäre,
tot zu sein! Man kümmert sich um nichts mehr: nur die Übelkeit
ist die Wirklichkeit. Der Gedanke, daß man je wieder essen
wollen könnte, sieht absurd aus. Die Übelkeit ist alles!
Jeder weiß aber, daß die Übelkeit nur für
kurze Zeit bleibt. Keiner bringt sich um, weil er seekrank ist.
Vielleicht kommt es dir vor, daß ich vermessen bin, weil
ich mich unterstehe, deinen Zustand mit Seekrankheit zu vergleichen.
Es ist lächerlich, weil ein Mensch der unter Seekrankheit
leidet, und sei sie auch noch so schlimm, doch sicher ist, daß
nach einer kürzen Zeit die Übelkeit verschwinden muß.
Dein Schmerz dagegen mag soweit du weisst, für sehr lange
oder für immer bleiben und vielleicht noch schlimmer werden.
Was ich aber betonen will, ist daß auch dein Schmerz zum
Ende kommen möchte, er könnte auch vorübergehend
sein, er möchte auch gelöst werden. Und wenn es so wäre,
daß auch dein Schmerz vorübergehen müsste, dann
könnte deine Entscheidung, dich umzubringen, ein entsetzlicher
Fehler sein. Vielleicht wärest du dann nur ein Betrogener,
vielleicht der größte aller Betrogener, da du dich
von dem Tod täuschen liessest. Bilden wir uns augenblicklich
ein, was du von deiner Entscheidung denken würdest, wenn
du nach deinem Tod hinterher schauen könntest? Nehmen wir
an, daß du dich umgebracht hast, und daß du aus einiger
Entfernung deinen Tod anblicken kannst, ebenso wie an die Möglichkeiten
die dir offen ständen, wenn du dich ein bisschen weiter am
Leben festgehalten hättest. Was könntest du sehen? Vielleicht
würdest du sehen, daß du ganz albern wärest, weil
du dich so leicht von dem Tod betrügen liessest. Mit einem
Wort: du könntest entdecken, daß du dich umsonst umgebracht
hättest! Vielleicht hättest du dann geschrien: Hätte
ich nur noch ein bißchen festgehalten, dann hätte ich
schon das Licht am Ende des Tunnels erblickt!
Wie alt bist du, Ron?
Wenn der Helfer das Alter des Suizidanten nicht kennt, wäre
es jetzt an der Zeit zu fragen. Besonders mit einem jungen Suizidanten,
sich auf sein Alter zu beziehen, könnte ein wirksamer Weg
sein, den Schmerz in Perspektive zu stellen.
Und als der achtzehnjährige Ron, der du bist, bist du
bereit, nicht nur den jetzigen Ron umzubringen, sondern auch den
dreißigjährigen, und den vierzigjährigen und den
fünfzigjährigen Ron, und den Ron, der mal Vater und
vielleicht Großvater sein würde? Mit welchem Recht
entscheidest du jetzt auch für diesen anderen, stärkeren
und reiferen Ron, der leben und wirken könnte aber dem du
keine Chance gibst?
Für das erste Mal drückt der Helfer seine Entrüstung
über die Absurdität des Suizids aus. Da diese Entrüstung
erst nach dem teilnehmenden Teil der Rede erscheint, mag sie als
echte Fürsorge empfangen werden.
Viele sind in diese Falle des Todes gefallen, ohne sehen zu
können, daß die Hoffnung vielleicht gerade um die Ecke
lag. Viele, die du um dich siehst, haben auch mal eine selbstmörderische
Krise durchgemacht. Die meisten behalten es für sich, aber
ich kann dir von einigen Leuten erzählen, Leute von denen
du gehört hast, die sich als Jugendliche umbringen gewollt
oder vielleicht sogar versucht hatten, und nur durch Zufall im
Leben geblieben sind, und daraufhin entdeckten, was für ein
Glück sie hatten und was für eine trügerische Falle
der Tod ihnen bereitet hatte. Das sind keine Märchen. Einige
dieser Leute haben ganz ernst versucht, ihr Leben zu beenden,
und hatten nicht geglaubt, daß sie weiter leben würden.
Das Schicksal aber wollte es anders. Sie lebten weiter und erfuhren
kurz danach, daß die Ursache ihres selbstmörderischen
Versuchs, auf einem schrecklichen Irrtum beruhte. Mit einigen
dieser Leute wirst du sprechen können, wenn du willst. Einige
andere sind berühmte Menschen: Arthur Rubinstein, Ludwig
Wittgenstein, und Theodor Herzl haben auch eine solche Krise erlebt
Ihr Schmerz war nicht geringer als der deine. Glücklich sind
sie durchgekommen und sie fühlten, daß sie durch den
Notstand gestärkt wurden.
Ich will dir enthüllen, Ron, daß ich selbst eine
selbstmörderische Krise erlebt habe. Deswegen fühle
ich mich dir sehr nahe. Ich habe in meiner Jugend ernst daran
gedacht, mich umzubringen und es ist möglich, daß ich
diese Tat begangen hätte, wenn ich nicht in meinem damaligen
Notzustand Zuspruch und Hilfe bekommen hätte. Wenn ich mich
heute daran erinnere, und denke, daß ich so nahe war, mich
umzubringen, rinnt mir ein Schauer über den Rücken.
Nicht lang danach verstand ich, wie töricht mein Todeswunsch
war. Denkst du, daß ich vielleicht in demselben Elend geblieben
bin? Nein! Ich habe zum Leben zurückgefünden. Das Leben
wurde aufs Neue wertvoll und ist so bis heute geblieben. Wenn
ich überlege, dass alles, was ich seitdem erlebt habe, einfach
weggewischt werden könnte, dann bin ich ganz erschüttert
von der Verschwendung und dem Verlust, der dabei hätte entstehen
können!
Jeder Helfer muß überlegen ob eine solche Selbsteröffnung
für ihn angebracht ist. In diesem Beispiel fanden wir es
passend dieses Erlebnis unserer Jugend mit dem Suizidanten zu
teilen. Eine solche aufrichtige Eröffnung könnte dem
Helfer erlauben, sich dem Suizidanten anzunähern, ohne die
Herausforderung preiszugeben.
Jetzt will ich mit dir über etwas sprechen, das du nicht
gern hören willst. Ich will darüber sprechen, was mit
den Menschen denen du teuer bist passieren würde, falls du
dich tötest: Deine Eltern, deine Schwester, deine Freunde.
Für sie wäre dein Tod der Anfang eines endlosen Schmerzes.
Wir wissen viel über Eltern, die ihr Kind verloren haben:
Sie können es nie überwinden. Und es ist noch viel schlimmer
für Eltern, deren Kind sich umbrachte. Ihr Leben wird zum
endlosen Schmerz bis zu ihrem letzten Atemzug. Du hast gewiss
schon mal den Satz gehört: ,,Wäre ich nur an seiner
Stelle gestorben! In aller Wahrscheinlichkeit würden
deine Eltern diese Wörter aufs innigste tagtäglich bis
zu ihrem letzten Tage wiederholen, falls du deine mörderische
Absicht begehen würdest.
Hiermit versucht der Helfer die Tunnelsicht des Suizidanten verbreitern
durch die Aussicht des Schmerzes von anderen zu verbreitern. Der
Helfer darf sich nicht scheuen, diesen Schmerz sehr lebhaft vorzuführen.
Aber ich spreche nicht nur von deinen Eltern. Deine Schwester
wird nicht weniger darunter leiden. Wir wissen all zu gut, wie
der Tod eines Bruders oft die ganze Existenz einer jüngeren
Schwester verheert.
Vielleicht gibt es Leute, auf die du böse bist und die
du durch deinen Tod zu bestrafen denkst. Bist du aber sicher,
daß sie eine so grausame Strafe verdient haben? Gibt es
irgendeinen Menschen, der es verdient hat, jeden Tag, jede Stunde,
jede Minute seines Lebens ununterbrochen unter tiefster Trauer
zu leiden? Es ist schlimmer als eine lebenslänglichen Freiheitsstrafe!
Es ist die grausamste Strafe in der Welt und du wirst dadurch
zum grausamsten Henker! Wie rachsüchtig du auch wären,
wie zum Verzeihen unfähig, würdest du mit ihnen Mitleid
haben wenn du sie nach deinem Tode sehen könntest. Und dabei
spreche ich noch nicht von den Unschuldigen. Es muss da sicher
Leute geben, für die du teuer bist und die dir nichts Böses
angetan haben. Denke mal an deine Schwester, Freunde, Verwandte,
die du gewiss nicht strafen willst. Mit deiner Tat wirst du ihr
Leben völlig vergiften! Ich hätte sie hierher gebracht,
damit sie mit dir sprechen und um dein Leben bitten. Vielleicht
hatten sie bis heute nicht die Gelegenheit gefunden oder benutzt,
um dir ihre Liebe auszudrücken. Vielleicht weisst du nicht,
wie teuer du ihnen trotz aller Reibungen des Alltages bist. Es
ist ihr Recht mit dir in dieser Stunde sprechen zu können.
Du aber verweigerst Ihnen dieses Recht. Deshalb spreche ich in
ihrem Namen, weil sie nicht hier sind. In ihrem Namen gestatte
ich mir dich zu bitten und zu fordern: denke an sie!
Einige Fachleute halten das Hinweisen auf Verwandte, zumal auf
Eltern, für einen Fehler, weil Suizidanten oft stark durch
negative Gefühlen gegen sie, bewusst oder unbewusst, bewegt
sind. Wir glauben, daß diese Gefühle weniger gefährlich
sind, wenn sie ans Licht kommen. Das Hinweisen auf mögliche
negative Gefühle ermöglicht dem Helfer andere Leute
zu nennen, gegen die der Suizidant positive Gefühle hegt.
Auf diese Art wäre es die Mutter, die der Suizidant zu strafen
beabsichtigte, warum sollten dann auch der Vater, die Grossmutter,
die Schwester, die Tochter oder die Freundin leiden? Es ist unwahrscheinlich,
daß der Suizidant von einer universallen Rachsucht bewegt
ist. Die Briefe von Suizidanten zeigen es klar: mehrere Suizidanten
kümmern sich sehr um das, was mit anderen passieren wird
und versuchen oft sie von aller Verantwortung für den Suizid
zu befreien.
Wenn du je jemanden Teuren verloren hast, dann weisst du ganz
gut, um was es sich handelt. Vielleicht ist dir der Schmerz des
Verlustes bekannt. Deine Tat wird dann einfach die entsetzliche
Kette des Verlustes noch weiter verlängern. Du wirst hinter
dir einen Fluch lassen, der noch weitere Menschen in den Kreis
des Verlustes und des selbstmörderischen Gedankens hineinziehen
wird. Hast du darüber nachgedacht, daß die Leute die
dir teuer sind, auch in einem zukünftigen Notstand, dein
Vorbild nachahmen könnten? Dies sind nicht eitle Wörter
die ich ausspreche: wir wissen, daß die Kinder und Verwandte
von Menschen die sich umgebracht haben, in viel grösserer
Gefahr sind, Selbstmord zu begehen. Willst du ein solch verhängnisvolles
Vermächtnis hinter dir lassen?
Ich glaube, daß deine selbstmörderische Absicht
eine Erschütterung in der Umgebung verursacht hat oder verursachen
wird, und eine solche Erschütterung vielleicht zu Recht entstehen
mußte. Die Leute haben gesehen, was du zu tun beabsichtigtest,
und sie werden es nicht leicht vergessen. Vielleicht hast durch
diese Erschütterung schon etwas erzielt. Vielleicht müssen
andere unschuldige Leute in der Zukunft nicht das durchmachen,
was du alles durchmachen musstest.
Ich bitte dich wieder, lass mich für dich sprechen, als
ob ich an deiner Seite stände und über deine Schulter
redete, und als ob wir beiden zusammen gegen den Tod sprächen.
Der Tod versucht dich zu übervorteilen und dich zu ihm zu
ziehen. Der Tod lügt und treibt Machenschaften gegen dich.
Worin lügt er? Er lügt dabei, daß er dir manches
zu verbergen versucht. Er versucht dir das Leiden von anderen,
die vorübergehende Natur deines Schmerzes, und jeglichen
Gedanken von möglichen Lösungen zu verheimlichen. Der
Tod versucht dich abzulenken, damit du nicht solche Gedanken denkst,
wie die die ich dir sage. Der Tod versucht die entsetzlichen Folgen
deiner Tat zu verheimlichen. Der Tod versucht dir zu verbergen,
daß das Leben wieder gut werden kann. Der Tod versucht dich
zu seinem Dummen zu machen. Deswegen ist es so wichtig, daß
du einen Verteidiger haben sollst. Mein Anliegen ist es, dir als
ein solcher Verteidiger zu dienen, und an deiner Seite gegen den
Tod zu stehen.
Der folgende Schluss ist nur am Platz, wenn der Helfer fühlt,
daß die suizidale Spannung verringert ist. Wenn es kein
Zeichen in dieser Richtung gibt, ist es besser mit Variationen
über die vorigen Themen fortzufahren bis ein solches Zeichen
hoffentlich vorkommt.
Gestatte mir, daß ich noch was Wichtiges hinzufüge.
Du steckst jetzt in einem extremen Notstand und fühlst, daß
es keine andere Möglichkeit gibt. Ich wage dir zu sagen,
daß aus diesem Notstand auch was Gutes herauskommen kann.
Ich glaube, wenn du ihn überwindest, wirst du wahrscheinlich
zu einem stärkeren Menschen werden, zu einem erfahreneren
Menschen, der sich selbst und die anderen besser verstehen kann.
Weil du dann wissen wirst, daß du in einem Zustand gewesen
und einer Gefahr entkommen bist, mit welcher andere Menschen kaum
vertraut sind. Das ist keine Kleinigkeit. In dem Erlebnis, das
du jetzt durchmachst, gibt es auch ein Element von Widerstandsfähigkeit,
wodurch dir mehr als nur bloß die Fähigkeit, die jetzige
Krise zu überleben, ermöglicht wird Die berühmten
Leute, von denen ich dir erzählt habe, haben sich so ausgedrückt:
daß sie durch ihre Krise stärker und geschützter
wurden. Vielleicht wirst du auch ein ähnliches Wachsen erleben.
Ich glaube, nachdem du durch die Hölle gekommen bist, wird
nichts mehr das gleiche sein. Ich weiss, daß du es jetzt
nicht so ansehen kannst, aber diese Möglichkeit besteht.
Dieses Erlebnis erschüttert und ändert dich in deinem
Innersten. Für manche erscheinen durch diese Änderung
ganz neue Möglichkeiten. Einen solchen Notstand durchzumachen,
kann neue Kräfte lösen, vielleicht auch Kräfte
ermöglichen, die anderen zu helfen könnten. Nach einem
solchen Erlebnis werden die alltäglichen Schwierigkeiten
kleiner. Man bekommt eine ganz neue Perspektive.
Unseres Wissens nach ist dieser Text der erste seiner Art in der
Fach-Literatur. Das erklärt vielleicht seine Schwäche.
Wir stellen ihn als Basis für Bearbeitungen und Verbesserungen
vor. Eine seiner guten Seiten ist vielleicht, daß er einfach
genug ist, um auch von einem sehr aufgeregten oder verwirrten
Suizidanten verstanden zu werden. Einige Leser könnten ihn
vielleicht zu einfach oder sogar sentimental finden. Wir hoffen
jedoch, daß er dem Menschen auf dem Dach nicht so klingen
wird.
Der Text könnte auch ohne die Anwesenheit eines Helfers wirksam
sein. Wir schlagen vor, daß er in Schule, im Militär,
in Gemeindezentren und in anderen Anstalten, wo suizidale Krisen
vorkommen könnten, verteilt wird. Es ist bekannt, daß
Leute, die den Suizid als eine Möglichkeit für sich
selbst betrachten, aktiv nach Auskunft über den Suizid suchen.
Im Internet gibt es solches Material, das dem Suizidanten helfen
könnte, seine Tat zu begehen. Wir finden, daß dann
auch ein anti-Suizid Text angebracht wäre!
Wir wiederholen unseren Vorschlag, daß die Leser aus ihrer
persönlichen und klinischen Erfahrung zur Abfassung eines
besseren Texten beitragen könnten. Fachleute und Ehrenamtliche,
die in Suizidvorbeugungszentren arbeiten, haben gewiss diesbezüglich
unerschöpfliche Kenntnisse. Wir hoffen, daß dieser
Artikel dazu beiträgt, diesen Kenntnisschatz zu sammeln und
an den Tag zu bringen.
Elitzur, A.C. (1992). And you have chosen the path of life (in Hebrew). Sihot, 6, 268-270.
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