Was sagt man dem Menschen auf dem Dach?

Ein Text für die Verhinderung des Suizids

Haim Omer und Avshalom Elizur

Unter allen Notständen denen Fachleute begegnen, ist keiner dringlicher als die suizidale Krise. Psychologen, Sozialarbeiter, Psychiater und Pädagogen sind oft ganz hilflos dem erklärten Selbstmörder gegenüber, weil Therapie und Beratung Zeit benötigen, um ein gutes Verhältnis und eine offene Zwiesprache zu entwickeln. Das ist aber meistens unrealistisch in einem Zustand der suizidalen Krise, die oft rasch in ein tragisches Ende umschlägt.

Einige suizidale Fälle, die letztens zu unserer Kenntnis gebracht wurden, betonen diese berufliche Hilflosigkeit mit der größten Klarheit. In zwei dieser Fälle, hatten sich die erklärten Selbstmörder (ein Jugendlicher und ein Mädchen im Militärdienst in Israel) mit einer Waffe eingeschlossen, und einige Fachleute und Vorgesetzte versuchten (in einem Fall fünfzehn Minuten und in dem anderen drei Stunden lang) sie von der Tat vergebens abzuhalten. Beide Jugendlichen brachten sich um. In unseren Gesprächen mit den Leuten, die involviert waren, wurde klar, daß sie keine klaren Begriffe oder Vorschriften hatten, die ihnen helfen könnten, mit dem Selbstmörder zu kommunizieren. Freilich handelten sie so gut sie konnten. Wir können aber annehmen, daß sie die Bürde ihres tragischen Scheiterns nicht leicht tragen.

Ist es überhaupt möglich einen Grundtext für die Vorbeugung des Selbstmords zu verfassen, der relevant für die meisten Menschen in einem solchen Zustand sein könnte? Ein solcher Text sollte auf den laufenden Forschungskenntnissen basieren. Zugleich sollte er aber ziemlich einfach und zugänglich sein, damit er auch unter Bedingungen äußerster Dringlichkeit benutzt werden könnte. Es ist das Ziel dieses Artikels einen solchen Text vorzuschlagen.

Grundsätze

Unser Unternehmen hängt von einer positiven Antwort zu folgender Hauptfrage ab: Gibt es laut der riesigen Forschungsliteratur über Selbstmord irgendwelche Kennzeichen, die die Mehrheit der Selbstmörder charakterisiert? Die Antwort lautet erstaunlicherweise ,,Ja!” (Shneidman, 1985; Shneidman, Farberow and Litman, 1976). Zwei charakteristische Verfahren wurden von mehreren Forschern als kennzeichnend für den Selbstmörder festgestellt.

Erstens fühlt sich der Selbstmörder ganz allein. Es ist ihm, als ob er jenseits von jeder möglichen Hilfe wäre. In dieser Hinsicht können wir sagen, daß die suizidale Tat aus einem Gefühl von totaler Einsamkeit entsteht Es gibt hier einen Teufelskreis, weil gerade die Haltung des Selbstmörders die Einsamkeit, unter welcher der Selbstmörder leidet, vertieft. Wie? Weil, je ernster die suizidale Absicht ist, desto stärker die Ablehnung aller äusseren Hilfsversuchen. Der Selbstmörder fühlt, daß keiner seinen Schmerz ermessen kann: nie war ein Mensch so deprimiert, so verzweifelt oder so gedemütigt wie er; keiner kann wirklich sein dunkles Erlebnis nachvollziehen. Uberdies fühlt der Selbstmörder, daß jeder Versuch, ihn von der Tat abzuhalten, seinen Schmerz nur verlängern kann. Deswegen müssen alle Hilfeversuche unbedingt abgelehnt werden. Der Selbstmörder bleibt also allein, aus eigener Wahl, ebenso wie aus der Unfähigkeit anderer, ihm nahezukommen.

Zweitens ist der Blickwinkel des Selbstmörders auf die Welt drastisch eingeschränkt. Nach und nach entwickelt der Selbstmörder eine Tunnelsicht, die den Eintritt jeglichen äußeren Einflusses blockiert. Für jemanden, dessen Finger von einer zuschlagenden Tür gegriffen ist, gibt es nichts in der Welt außer Finger und Schmerz. Ebenso für den Suizidanten: der Schmerz macht die ganze Welt aus, und ihm kommt es auf nichts anderes an, als auf den Schmerz. Es ist aber ein Irrtum, den Selbstmörder als ein Sollipsist zu denken, für den die äußere Welt keine weitere Bedeutung hätte. Im Gegenteil! Mehrere Selbstmörder schreiben Scheidungsbriefe und kümmern sich sehr um den Eindruck, den sie hinterlassen. Dieser Spalt in dem psychologischen Panzer des Selbstmörders, bietet dem Helfer einen möglichen Eintrittspunkt.

Diese Kennzeichen erschöpfen nicht die mannigfaltigen Faktoren, die eine Rolle im Suizid spielen. Gleichwohl können wir behaupten, daß das Gefühl von Einsamkeit und die Einschränkung des Blickwinkels wahrscheinlich die allgemeinsten und eigentlichsten Kennzeichen der suizidalen Phänomenologie sind. Als solche bieten sie einen festen Grund für unsere antisuizidale Botschaft an. Aus diesen beiden Kennzeichen lässt sich die Haltung des Helfers herleiten:

a) Die teilnehmende Haltung: Eine Haltung von Teilnahme dem Leiden und Notstand des Suizidanten gegenüber ist die angemessene Antwort auf sein Gefühl von Einsamkeit. Diese Haltung liegt in tiefstem Gegensatz zu der Distanz, die Fachleute manchmal charakterisiert. Eine Haltung von therapeutischer Distanz oder Abstinenz könnte zwar den Therapeuten schützen; der Suizidant aber würde sich dadurch noch isolierter fühlen. Die teilnehmende Haltung liegt auch in Gegensatz zu einer konfrontierenden Haltung, wobei der Helfer dem Suizidanten einzureden versucht, daß die beabsichtigte Tat unrecht und unakzeptabel ist. Wie wir sehen werden, muß eine Konfrontation entstehen, jedoch wenn sie die ganze helfende Botschaft ausmacht, ist die Botschaft zum Scheitern verurteilt. Erst muß sich der Helfer an die Seite des Selbstmörders begeben und dadurch, wenn auch nur höchst teilweise sein Gefühl von Einsamkeit erleichtern. Zu diesem Zweck muß der Helfer eine durchgehende teilnehmende Haltung adoptieren, selbst dann wenn er das Gefühl des Selbstmörders. daß der Tod der einzige Ausweg zu sein scheint, bestätigt. Nur durch eine solche Bestätigung kann der Helfer hoffen, daß der Selbstmörder bereit sein wird, seine weitere Botschaft anzuhören.

b) Die herausfordernde Haltung: Nachdem der Helfer sich durch die teilnehmende Haltung an die Seite des Selbstmörders begeben hat, ist er imstande, sich gegen den Suizid ganz offen auszudrücken. Jetzt ist es an der Zeit Themen zu erheben, die der Selbstmörder wegen seiner Tunnelsicht augenblicklich nicht wahrnehmen kann, z.B. das zu erwartende Leid von Eltern, Kindern, Geschwistern und Freunden, das Vorhandensein von anderen möglichen Auswegen, das eventuelle Abebben des Schmerzes und die Möglichkeit, daß der suizidale Entschluss auf einem Irrtum beruht (Elitzur, 1992; 1995). Genauso wie sich der Helfer durch die teilnehmende Haltung gegen die Einsamkeit des Selbstmörders gestellt hatte, versucht er jetzt durch die herausfordernde Haltung, seine Tunnelsicht zu überwinden. Die herausfordernde Haltung liegt im Gegensatz zu der Tendenz mehrerer Helfer sich mit dem Ausdruck von Verstand und Empathie zu begnügen, ohne jeglichen Versuch, antisuizidale Botschaften dem Suizidanten zur Kenntniss zu bringen. Die herausfordernde Haltung kontert auch die berufliche Tendenz, sich jeglicher Verurteilung zu enthalten, eine Einstellung, die den Helfer in einer suizidalen Krise ganz und gar lähmen könnte. Unserer Meinung nach sind wir in diesen Fällen verpflichtet, den beruflichen Reflex von Verurteilungsabstinenz zu überwinden.

Die teilnehmende und die herausforderne Haltung sind dialektisch verbunden: je überzeugender die Teilnahme des Helfers, desto fähiger ist er, den Selbstmörder herauszufordern, und umgekehrt. Also wenn wir uns an die Seite des Selbstmörders begeben und unser empatisches Verstehen der suizidalen Absicht ausdrücken, gewinnen wir auch seine Rezeptivität für unsere antisuizidale Botschaften. Wenn wir wiederum die suizidale Absicht herausfordern, zeigen wir, daß unsere Empathie und Teilnahme nicht nur das stets billigende ,,Hmmm-hmmm” eines lauwarmen Helfers ist, sondern die bedeutsame Bekräftigung eines, der auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen wagt.

Ein Text gegen Suizid

Es gibt unseres Wissens keinen Grundtext in der Literatur, auf den sich Helfer berufen können, um mit dem Suizidanten zu sprechen. Der Mangel eines solchen Textes könnte darauf zurückgeführt werden, daß jeder Suizidfall einzigartig ist, und deshalb kein Text allgemeine Relevanz beanspruchen könnte. Diese Erklärung ist aber unzulänglich. Zum einen könnte ein Grundtext die Formulierung von Texten, die auf den Einzelnen abgestimmt sind, erleichtern. Ein solches Verfahren ist üblich z.B. in der Hypnotherapie, wo Grundtexte bestehen, die sehr behilflich für die Verfassung von individuell angepassten Texten sind. Das Vorhandensein solcher Texte ermöglicht dem Therapeuten eigentlich eine größere Flexibilität in der Verfassung individueller Variationen. Zum anderen pflegen Leute in extremen Situationen anders als in gewöhlichen Zuständen ähnlich zu reagieren. Trotsky (1932) hat bemerkt, daß Leute unterschiedlich reagieren, wenn sie von einer Feder gekitzelt, aber ähnlich wenn sie von einem glühenden Eisen berührt werden. Das Gleiche gilt für seelische Schmerzen. Trotz aller Unterschiede führt die Suizidale Qual zu einer beindruckenden Ähnlichkeit unter Selbstmördern. Diese Ähnlichkeit, die sich in den fast universellen Erscheinungen des Gefühls von totaler Einsamkeit und der Tunnelsicht des Selbstmörders offenbart, ist ein starkes Argument für die Verfassung eines Grundtexts.

Ein weiteres psychologisches Argument gegen einen antisuizidalen Text entsteht aus dem Widerwillen der meisten Fachleute (Therapeuten) allen Einredungsversuchen gegenüber. Therapeuten werten die Enthaltsamkeit aller Verurteilung als eine der wesentlichsten Eigenschaften ihres Berufs. Diese Haltung ist dennoch verkehrt, wenn es sich um eine selbstmörderische Krise handelt. Die meisten Leute (uns eingeschlossen) würden sich berechtigt fühlen, einen selbstmörderischen Versuch selbst durch Gewalt zu verhindern. In mehreren Ländern gilt das Versäumnis, den Tod eines anderen zu verhindern, wenn man es zu tun imstande wäre, als ein Verbrechen. Es ist diese besondere Stellung der suizidalen Krise, die uns moralisch und beruflich rechtfertigt, selbst die mächtigsten abwehrenden Botschaften anzuwenden.

Aus diesen Gründen haben wir den folgenden antisuizidalen Text verfasst. Der Text ist kursiv gedruckt. Er ist begleitet von Erklärungen die in normalem Druck erscheinen. Wir bieten diesen Text als eine Einladung für Variationen, Ergänzungen und kritischen Bemerkungen an. Wir hoffen, daß die Vertrautheit mit diesem Text, potenziellen Helfern nützlich sein kann, sie auf verschiedene Reaktionen des Selbstmörders vorzubereiten. Z.B. ermöglicht der Text dem Helfer, ununterbrochen zu sprechen, bis eine Antwort kommt, wenn der Selbstmörder lange schweigend bleibt; dagegen hilft der Text die Kontinuität der Rede aufrechtzuerhalten, falls der Selbstmörder den Helfer ununterbrochen stört,.

Der Text

Der Text ist in zwei Hälften geteilt. Die erste drückt die teilnehmende und die zweite die herausfordernde Haltung aus.

A

Ich heiße Haim. Wie heißt du?

Einige Fragen, die wir in den Text eingeschlossen haben, sind nicht genau die, die stets gestellt werden sollten, weil in jedem Fall andere Fragen im Platz sind. Die Fragen bezeichnen die Versuche des Helfers, eine Zwiesprache, sei sie auch so winzig, zu beginnen.

Die Bedeutung des Namens des Selbstmörders kann für die Hilfsversuche kaum übertrieben werden. Wir haben den Namen Ron gewählt in Gedanken an den israelischen Dichter Ron Adler, der sich 1976 in dem Alter von 19 Jahren umbrachte.

Ron? Hallo Ron. Ich will mit dir im Namen einer der Teile, die sich in deinem Inneren streiten sprechen: der Teil der noch leben will. Ich will diesen Teil vertreten, weil auch beim Gericht, sogar in einem totalitären Staat, sogar bei der Inquisition, jeder Mensch das Recht auf einen Verteidiger hat Du aber hast dich als Anwalt, Richter und Henker in einem ernannt Deshalb bitte ich um das Recht, als Dein Verteidiger zu sprechen.

Solange die suizidale Tat ausbleibt, können wir annehmen, daß der Lebenswille noch vorhanden ist. Shneidman (1985) sprach von dem ,,Parlament der Seele”, der im Innern des Selbstmörders fortwährend Diskussion hält. Die Metapher ist hoffnungsvoll, da sie suggeriert, daß das Leben in der endgültigen Abstimmung gewinnen kann. Das Ziel des Helfers ist also nicht gerade das Pendel von Tod zum Leben völlig zurückzuschwingen (ein anmessendes Ziel), sondern eine Bewegung, sei sie auch noch so klein, zu erzielen, die das Gleichgewicht in die erwünschte Richtung kippen könnte.

Ich bin mir bewußt, daß du dich in einem Zustand befindest, den man als den tiefsten Punkt des menschlichen Leidens annehmen kann. Der Schmerz, unter dem du leidest, und der noch größere Schmerz, unter dem du künftig zu leiden fürchtest ist riesig. Für dich handelt es sich um einen unerträglichen Zustand, in dem man einfach nicht weiter leben kann. Du musst also etwas tun, um den Schmerz zu stillen. Aber es gibt nichts zu tun: Du fühlst dich wahrscheinlich ganz hilflos gegen die Mächte, die den Schmerz erzeugen, gegen das Pech, das Böse und die Gleichgültigkeit die dich umgibt

Ich erkenne das Ausmaß und die Legitimität deines Schmerzes an. Manchmal kommt man zu einem Punkt, wo man sagen muß: Genug! Bishier konnte ich leiden, weiter nicht! Ich glaube, daß du zu einem solchen Zustand gekommen bist. Ich werde jedoch versuchen, von anderen Möglichkeiten und Richtungen zu sprechen, weil ich glaube, daß es in deinem Inneren auch eine andere Stimme gibt, die anders denkt.

Vielleicht denkst du dir, wer ist dieser Besserwisser, der mich verführen will, damit ich mich nicht umbringe? In deinen Augen bin ich vielleicht nicht mehr als ein Fachmann, der Geld bekommt, um sich in das Leben anderer Leute einzumischen. Einer der nur auf die Gelegenheit lauert, dich zu verlocken, damit du von deiner Absicht wegkommst Ich bitte dich, mir zu glauben, daß es anders ist. In diesem Augenblick bin ich nicht nur Psychologe oder Polizist oder Sozialarbeiter, sondern auch ein Mensch, der im innersten erschüttert ist, von der Tat, die du zu begehen beabsichtigst

Diese extreme Situation fordert von dem Helfer, daß er offen spricht. Die argwöhnische Empfindlichkeit des Selbstmörders wird wahrscheinlich jeden Tarnungsversuch entlarven. Deshalb ist es besser, jegliche Reaktion, die in solchen Zuständen zu erwarten ist, sofort zu bekennen z.B. die Angst, daß der Suizid jeden Augenblick geschehen kann. Diese Selbstenthüllung kann auch helfen, den Kontakt zu erleichtern.

Ich will vorweg erklären, daß ich nicht unter allen Umständen gegen Selbstmord bin. Ich bin nicht der Meinung daß Selbstmord immer eine Todsünde ist. Manchmal kommt ein Mensch zu dem Schluß, dass es besser wäre, mit seinem Leben abzuschließen. Unter gewissen Umständen würde ich einen solchen Schluß bewilligen. Auch in deinem Falle, will ich erklären, wenn du nach unserem Gespräch bei deiner Absicht bleibst, daß ich dich nicht weiter stören werde.

Das Ansprechen dieser Haltung kann helfen, die antisuizidale Botschaft zu überbringen. Den ganzen Text hindurch versucht der Helfer zu sagen, dass eine Entscheidung für das Leben, eine positive Möglichkeit von dem Standpunkt des Selbstmörders und nicht von dem eines abstrakten Grundsatzes darstellt. Es ist fast unmöglich zu glauben, daß der Selbstmörder, wenn er schon so weit ist, von einem metaphysischen Glauben an die Heiligkeit des Lebens, beinflusst werden könnte.

Wenn ich dich richtig verstehe, gibt es für dich nur einen Ausweg aus dem jetzigen Alptraum: Das Bewusstsein auszulöschen, alle Möglichkeit etwas zu fühlen, ganz und gar auszuschalten. Wahrscheinlich fühlst du, dass dein Zustand, der schon ganz unerträglich ist, noch schlimmer zu werden droht Es ist als ob der jetzige Schmerz nur der Eingang zu noch tieferem Schmerz sein könnte. Deshalb sieht es aus, als ob es besser wäre, die Tat ohne Aufschub zu begehen. Tätest du es nicht, würdest du dich nur zu endlosem Leiden, Einsamkeit, Scham und Verachtung, verurteilen. Vielleicht denkst du dir: Wenn ich auf meine Entscheidung verzichte, wenn ich nicht den Mut dazu habe, werde ich mich der härtesten Strafe unterziehen müssen.

Könnten nicht diese Wörter die suizidale Absicht verstärken? Wir glauben diese Sorge ist grundlos. Wenn wir den Denkablauf des Suizidanten ansprechen, begeben wir uns an seine Seite. Unsere Glaubwürdigkeit ist dadurch verstärkt, nicht die suizidale Absicht. Der Suizidant kann sehen, dass wir die Dinge nicht beschönigen. Das wird hoffentlich seine Bereitschaft uns zu hören vergrößern.

In diesem Zustand fühlst du dich ganz allein. Im Angesicht des Todes fühlst du dich wahrscheinlich endlos einsam. In dieser bodenlosen Einsamkeit gibt es nur eine Wirklichkeit: Den Schmerz. Und nur eine Lösung: Den Tod.

Vielleicht fragst du dich, warum ich solche Dinge sage, warum ich die vernünftige Seite deines selbstmörderischen Vorsatzes bestätige. Vielleicht fragst du dich: ,,Auf eine solche Weise will er mir helfen?” Meine Antwort ist, daß, wenn ich dein Gefühl nicht äußere, deinen Schmerz nicht verstehe, du nicht auf mich hören wirst Übrigens glaube ich, daß du nicht nur sterben, sondern auch leben willst; daß es noch eine Stimme in deinem Inneren gibt, die für das Leben stimmt.

Ich glaube, Ron, daß ich verstehe, wo du dich befindest. In welchem tiefen Abgrund und in welcher Verzweiflung.. Ich glaube, daß du nicht aus freiem Willen in diesen grausamen Zustand eingetreten bist. Ich bin überzeugt, wenn du nur einen anderen Ausweg sehen könntest, hättest du nicht den Tod gewählt. Deshalb sehe ich deine Absicht als eine ehrliche Absicht an. Ich respektiere sie, weil ich glaube, daß du anders handeln würdest, wenn du nur könntest

Die Selbstachtung des Suizidanten ist wahrscheinlich am niedrigsten Punkt. Wie könnten wir dann unsere Würdigung und unseren Respekt für ihn in einer akzeptierbaren Weise ausdrücken? Ein möglicher Weg ist Respekt und Würdigung der suizidalen Logik zu zeigen.

Am nächsten Abschnitt beziehen wir uns auf den individuellen Grund der suizidalen Absicht (angenommen wir wissen etwas darüber, sei es von vorigen Kontakten, von der Rede des Suizidanten oder aus anderen Quellen). In unserem Beispiel war der angebliche Grund Misserfolg an der Universität.

Für dich, hat die Ablehnung von der Universität den Wert des Lebens ganz und gar entzogen. Soweit ich verstehe, waren die Studien dein Hauptwunsch und Hoffnung. Der Erfolg wurde zu der wichtigsten Probe deines menschlichen Wertes. Für dich bedeutet diese Niederlage nicht nur das Ende eines akademischen Traums, sondern auch die Vertreibung von jeglichem Gefühl der Würde und Ehre. Deshalb befindest du dich jetzt in einem Zustand, indem du dich als total wertlos und verachtenswert fühlst. Für dich ist das der endgültige Beweis, daß du gescheitert bist. Vielleicht fühlst du sogar, daß die Welt ohne dich ein besserer Platz wäre.

Die teilnehmende Haltung enthält die Würdigung der Werte und Ziele, um die der Suizidant sich bereit fühlt, sein Leben aufzugeben. Wäre z.B. der Anlaß für die suizidale Krise eine romantische Enttäuschung gewesen, würde es dann notwendig sein, eine ähnliche empathische Haltung für die Bedeutung romantischer Liebe für den jungen Suizidanten zu zeigen.

Vielleicht fühlst du dich auch anders: daß andere Leute dich schlecht behandelt haben und es deshalb verdient haben, durch deinen Tod bestraft zu werden. Vielleicht warst du verlassen, verraten oder missbraucht Es wäre dann richtig, diesen Leute zu beweisen, wie schlecht sie dich behandelt hatten. Oder vielleicht bist du so verzweifelt, daß du dich einfach nicht mehr darum kümmerst, was mit den anderen passiert; daß du kaum an sie denken kannst, geschweige denn ihre Gefühle berücksichtigen. Der Schmerz verblendet und nur eines bleibt klar: daß der Schmerz weg muß. Ich muss gestehen, dass auch ich pessimistisch werde, wenn ich diese Gedanken äussere.

Wir haben jetzt den niedrigsten Punkt unserer Rede erreicht: Der Helfer schließt sich dem Suizidanten an, in seiner Verzweiflung. Dieser Punkt bezeichnet auch den Schluss des ersten Teils, der die teilnehmende Haltung ausdrückt.

B

Aber vielleicht müssen wir nicht so pessimistisch bleiben. Ich bin sicher, dass auch andere vielleicht noch stillschweigende Gedanken in dir vorhanden sind. Ich will meine Stimme auch diesen Gedanken leihen.

Hiermit bezeichnet der Helfer den Übergang zum zweiten Teil des Textes, nämlich dem herausfordernden Teil. Es ist äußerst wichtig, daß der Helfer auch in dem herausfordernden Teil seiner Rede, den Kontakt und die Nähe, die er hoffentlich erreicht hat, aufrechtzuerhalten versucht.

Zuerst will ich dir versprechen, daß ich dich, wenn du so willst, nicht verlassen werde, wenn der jetzige akute Notstand vorüber ist. So gut ich kann, werde ich versuchen dir beizustehen, um nach einer Lösung zu suchen. Wenn du vom Dach herabkommst, werde ich mit allen Mitteln versuchen, dir zum Leben zurückzuhelfen. Ich bin mir bewusst, dass ich mich dir hiermit stark verpflichtet habe.

Jeder Helfer muß überlegen ob er bereist ist, sich diese Selbstverpflichtung aufzuerlegen. Fühlte sich der Helfer nicht bereit sie einzuhalten, dann wäre es besser, daß es sie nicht oder eine geringere Verpflichtung gäbe.

Du hast mir bislang zugehört, und ich danke dir dafür. Vielleicht hast du mir zugehört, weil es zutraf, was ich über deinen Schmerz gesagt habe. Jetzt will ich dich bitten, mich weiter anzuhören, wenn ich als dein Verteidiger gegen den Tod spreche. Es ist als ob der Tod dich zu überzeugen versuchte, zu ihm zu rücken. Ich will dich dagegen zu überzeugen versuchen, hier zu bleiben.

Die Charakterisierung des Todes als ein äußerer Feind (White and Epston, 1990), der dem Suizidanten eine Falle stellt, erlaubt dem Helfer zu einer herausfordernder Haltung zu rücken, ohne die teilnehmende Haltung preiszugeben. Die Teilnahme drückt sich nun, durch die Identifizierung des Helfers mit dem Teil des Suizidanten, der weiter leben will, aus.

Eine des Todes trügerischste List ist, daß er dich so durch den Schmerz blendet, dass alles andere fast aufhört zu zählen. Der Tod benutzt deinen Schmerz, um alles was gut und wichtig ist, wegzugaukeln. Deine Freunde, Eltern und kleine Schwester werden dabei entfernt und weggewischt. Ein endloser Abgrund tut sich zwischen dir und allen anderen auf.

Hiermit sprechen wir die Einsamkeit des Suizidanten an.

Dir sind gewiss andere ähnliche Zustände bekannt. Du weisst, was passiert, wenn man z.B. seekrank ist. In dem Augenblick kommt es nur darauf an, die Übelkeit loszuwerden. Leute in diesem Zustand äußern sich so, als ob es besser wäre, tot zu sein! Man kümmert sich um nichts mehr: nur die Übelkeit ist die Wirklichkeit. Der Gedanke, daß man je wieder essen wollen könnte, sieht absurd aus. Die Übelkeit ist alles! Jeder weiß aber, daß die Übelkeit nur für kurze Zeit bleibt. Keiner bringt sich um, weil er seekrank ist.

Vielleicht kommt es dir vor, daß ich vermessen bin, weil ich mich unterstehe, deinen Zustand mit Seekrankheit zu vergleichen. Es ist lächerlich, weil ein Mensch der unter Seekrankheit leidet, und sei sie auch noch so schlimm, doch sicher ist, daß nach einer kürzen Zeit die Übelkeit verschwinden muß. Dein Schmerz dagegen mag soweit du weisst, für sehr lange oder für immer bleiben und vielleicht noch schlimmer werden. Was ich aber betonen will, ist daß auch dein Schmerz zum Ende kommen möchte, er könnte auch vorübergehend sein, er möchte auch gelöst werden. Und wenn es so wäre, daß auch dein Schmerz vorübergehen müsste, dann könnte deine Entscheidung, dich umzubringen, ein entsetzlicher Fehler sein. Vielleicht wärest du dann nur ein Betrogener, vielleicht der größte aller Betrogener, da du dich von dem Tod täuschen liessest. Bilden wir uns augenblicklich ein, was du von deiner Entscheidung denken würdest, wenn du nach deinem Tod hinterher schauen könntest? Nehmen wir an, daß du dich umgebracht hast, und daß du aus einiger Entfernung deinen Tod anblicken kannst, ebenso wie an die Möglichkeiten die dir offen ständen, wenn du dich ein bisschen weiter am Leben festgehalten hättest. Was könntest du sehen? Vielleicht würdest du sehen, daß du ganz albern wärest, weil du dich so leicht von dem Tod betrügen liessest. Mit einem Wort: du könntest entdecken, daß du dich umsonst umgebracht hättest! Vielleicht hättest du dann geschrien: Hätte ich nur noch ein bißchen festgehalten, dann hätte ich schon das Licht am Ende des Tunnels erblickt!

Wie alt bist du, Ron?

Wenn der Helfer das Alter des Suizidanten nicht kennt, wäre es jetzt an der Zeit zu fragen. Besonders mit einem jungen Suizidanten, sich auf sein Alter zu beziehen, könnte ein wirksamer Weg sein, den Schmerz in Perspektive zu stellen.

Und als der achtzehnjährige Ron, der du bist, bist du bereit, nicht nur den jetzigen Ron umzubringen, sondern auch den dreißigjährigen, und den vierzigjährigen und den fünfzigjährigen Ron, und den Ron, der mal Vater und vielleicht Großvater sein würde? Mit welchem Recht entscheidest du jetzt auch für diesen anderen, stärkeren und reiferen Ron, der leben und wirken könnte aber dem du keine Chance gibst?

Für das erste Mal drückt der Helfer seine Entrüstung über die Absurdität des Suizids aus. Da diese Entrüstung erst nach dem teilnehmenden Teil der Rede erscheint, mag sie als echte Fürsorge empfangen werden.

Viele sind in diese Falle des Todes gefallen, ohne sehen zu können, daß die Hoffnung vielleicht gerade um die Ecke lag. Viele, die du um dich siehst, haben auch mal eine selbstmörderische Krise durchgemacht. Die meisten behalten es für sich, aber ich kann dir von einigen Leuten erzählen, Leute von denen du gehört hast, die sich als Jugendliche umbringen gewollt oder vielleicht sogar versucht hatten, und nur durch Zufall im Leben geblieben sind, und daraufhin entdeckten, was für ein Glück sie hatten und was für eine trügerische Falle der Tod ihnen bereitet hatte. Das sind keine Märchen. Einige dieser Leute haben ganz ernst versucht, ihr Leben zu beenden, und hatten nicht geglaubt, daß sie weiter leben würden. Das Schicksal aber wollte es anders. Sie lebten weiter und erfuhren kurz danach, daß die Ursache ihres selbstmörderischen Versuchs, auf einem schrecklichen Irrtum beruhte. Mit einigen dieser Leute wirst du sprechen können, wenn du willst. Einige andere sind berühmte Menschen: Arthur Rubinstein, Ludwig Wittgenstein, und Theodor Herzl haben auch eine solche Krise erlebt Ihr Schmerz war nicht geringer als der deine. Glücklich sind sie durchgekommen und sie fühlten, daß sie durch den Notstand gestärkt wurden.

Ich will dir enthüllen, Ron, daß ich selbst eine selbstmörderische Krise erlebt habe. Deswegen fühle ich mich dir sehr nahe. Ich habe in meiner Jugend ernst daran gedacht, mich umzubringen und es ist möglich, daß ich diese Tat begangen hätte, wenn ich nicht in meinem damaligen Notzustand Zuspruch und Hilfe bekommen hätte. Wenn ich mich heute daran erinnere, und denke, daß ich so nahe war, mich umzubringen, rinnt mir ein Schauer über den Rücken. Nicht lang danach verstand ich, wie töricht mein Todeswunsch war. Denkst du, daß ich vielleicht in demselben Elend geblieben bin? Nein! Ich habe zum Leben zurückgefünden. Das Leben wurde aufs Neue wertvoll und ist so bis heute geblieben. Wenn ich überlege, dass alles, was ich seitdem erlebt habe, einfach weggewischt werden könnte, dann bin ich ganz erschüttert von der Verschwendung und dem Verlust, der dabei hätte entstehen können!

Jeder Helfer muß überlegen ob eine solche Selbsteröffnung für ihn angebracht ist. In diesem Beispiel fanden wir es passend dieses Erlebnis unserer Jugend mit dem Suizidanten zu teilen. Eine solche aufrichtige Eröffnung könnte dem Helfer erlauben, sich dem Suizidanten anzunähern, ohne die Herausforderung preiszugeben.

Jetzt will ich mit dir über etwas sprechen, das du nicht gern hören willst. Ich will darüber sprechen, was mit den Menschen denen du teuer bist passieren würde, falls du dich tötest: Deine Eltern, deine Schwester, deine Freunde. Für sie wäre dein Tod der Anfang eines endlosen Schmerzes. Wir wissen viel über Eltern, die ihr Kind verloren haben: Sie können es nie überwinden. Und es ist noch viel schlimmer für Eltern, deren Kind sich umbrachte. Ihr Leben wird zum endlosen Schmerz bis zu ihrem letzten Atemzug. Du hast gewiss schon mal den Satz gehört: ,,Wäre ich nur an seiner Stelle gestorben!” In aller Wahrscheinlichkeit würden deine Eltern diese Wörter aufs innigste tagtäglich bis zu ihrem letzten Tage wiederholen, falls du deine mörderische Absicht begehen würdest.

Hiermit versucht der Helfer die Tunnelsicht des Suizidanten verbreitern durch die Aussicht des Schmerzes von anderen zu verbreitern. Der Helfer darf sich nicht scheuen, diesen Schmerz sehr lebhaft vorzuführen.

Aber ich spreche nicht nur von deinen Eltern. Deine Schwester wird nicht weniger darunter leiden. Wir wissen all zu gut, wie der Tod eines Bruders oft die ganze Existenz einer jüngeren Schwester verheert.

Vielleicht gibt es Leute, auf die du böse bist und die du durch deinen Tod zu bestrafen denkst. Bist du aber sicher, daß sie eine so grausame Strafe verdient haben? Gibt es irgendeinen Menschen, der es verdient hat, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute seines Lebens ununterbrochen unter tiefster Trauer zu leiden? Es ist schlimmer als eine lebenslänglichen Freiheitsstrafe! Es ist die grausamste Strafe in der Welt und du wirst dadurch zum grausamsten Henker! Wie rachsüchtig du auch wären, wie zum Verzeihen unfähig, würdest du mit ihnen Mitleid haben wenn du sie nach deinem Tode sehen könntest. Und dabei spreche ich noch nicht von den Unschuldigen. Es muss da sicher Leute geben, für die du teuer bist und die dir nichts Böses angetan haben. Denke mal an deine Schwester, Freunde, Verwandte, die du gewiss nicht strafen willst. Mit deiner Tat wirst du ihr Leben völlig vergiften! Ich hätte sie hierher gebracht, damit sie mit dir sprechen und um dein Leben bitten. Vielleicht hatten sie bis heute nicht die Gelegenheit gefunden oder benutzt, um dir ihre Liebe auszudrücken. Vielleicht weisst du nicht, wie teuer du ihnen trotz aller Reibungen des Alltages bist. Es ist ihr Recht mit dir in dieser Stunde sprechen zu können. Du aber verweigerst Ihnen dieses Recht. Deshalb spreche ich in ihrem Namen, weil sie nicht hier sind. In ihrem Namen gestatte ich mir dich zu bitten und zu fordern: denke an sie!

Einige Fachleute halten das Hinweisen auf Verwandte, zumal auf Eltern, für einen Fehler, weil Suizidanten oft stark durch negative Gefühlen gegen sie, bewusst oder unbewusst, bewegt sind. Wir glauben, daß diese Gefühle weniger gefährlich sind, wenn sie ans Licht kommen. Das Hinweisen auf mögliche negative Gefühle ermöglicht dem Helfer andere Leute zu nennen, gegen die der Suizidant positive Gefühle hegt. Auf diese Art wäre es die Mutter, die der Suizidant zu strafen beabsichtigte, warum sollten dann auch der Vater, die Grossmutter, die Schwester, die Tochter oder die Freundin leiden? Es ist unwahrscheinlich, daß der Suizidant von einer universallen Rachsucht bewegt ist. Die Briefe von Suizidanten zeigen es klar: mehrere Suizidanten kümmern sich sehr um das, was mit anderen passieren wird und versuchen oft sie von aller Verantwortung für den Suizid zu befreien.

Wenn du je jemanden Teuren verloren hast, dann weisst du ganz gut, um was es sich handelt. Vielleicht ist dir der Schmerz des Verlustes bekannt. Deine Tat wird dann einfach die entsetzliche Kette des Verlustes noch weiter verlängern. Du wirst hinter dir einen Fluch lassen, der noch weitere Menschen in den Kreis des Verlustes und des selbstmörderischen Gedankens hineinziehen wird. Hast du darüber nachgedacht, daß die Leute die dir teuer sind, auch in einem zukünftigen Notstand, dein Vorbild nachahmen könnten? Dies sind nicht eitle Wörter die ich ausspreche: wir wissen, daß die Kinder und Verwandte von Menschen die sich umgebracht haben, in viel grösserer Gefahr sind, Selbstmord zu begehen. Willst du ein solch verhängnisvolles Vermächtnis hinter dir lassen?

Ich glaube, daß deine selbstmörderische Absicht eine Erschütterung in der Umgebung verursacht hat oder verursachen wird, und eine solche Erschütterung vielleicht zu Recht entstehen mußte. Die Leute haben gesehen, was du zu tun beabsichtigtest, und sie werden es nicht leicht vergessen. Vielleicht hast durch diese Erschütterung schon etwas erzielt. Vielleicht müssen andere unschuldige Leute in der Zukunft nicht das durchmachen, was du alles durchmachen musstest.

Ich bitte dich wieder, lass mich für dich sprechen, als ob ich an deiner Seite stände und über deine Schulter redete, und als ob wir beiden zusammen gegen den Tod sprächen. Der Tod versucht dich zu übervorteilen und dich zu ihm zu ziehen. Der Tod lügt und treibt Machenschaften gegen dich. Worin lügt er? Er lügt dabei, daß er dir manches zu verbergen versucht. Er versucht dir das Leiden von anderen, die vorübergehende Natur deines Schmerzes, und jeglichen Gedanken von möglichen Lösungen zu verheimlichen. Der Tod versucht dich abzulenken, damit du nicht solche Gedanken denkst, wie die die ich dir sage. Der Tod versucht die entsetzlichen Folgen deiner Tat zu verheimlichen. Der Tod versucht dir zu verbergen, daß das Leben wieder gut werden kann. Der Tod versucht dich zu seinem Dummen zu machen. Deswegen ist es so wichtig, daß du einen Verteidiger haben sollst. Mein Anliegen ist es, dir als ein solcher Verteidiger zu dienen, und an deiner Seite gegen den Tod zu stehen.

Der folgende Schluss ist nur am Platz, wenn der Helfer fühlt, daß die suizidale Spannung verringert ist. Wenn es kein Zeichen in dieser Richtung gibt, ist es besser mit Variationen über die vorigen Themen fortzufahren bis ein solches Zeichen hoffentlich vorkommt.

Gestatte mir, daß ich noch was Wichtiges hinzufüge. Du steckst jetzt in einem extremen Notstand und fühlst, daß es keine andere Möglichkeit gibt. Ich wage dir zu sagen, daß aus diesem Notstand auch was Gutes herauskommen kann. Ich glaube, wenn du ihn überwindest, wirst du wahrscheinlich zu einem stärkeren Menschen werden, zu einem erfahreneren Menschen, der sich selbst und die anderen besser verstehen kann. Weil du dann wissen wirst, daß du in einem Zustand gewesen und einer Gefahr entkommen bist, mit welcher andere Menschen kaum vertraut sind. Das ist keine Kleinigkeit. In dem Erlebnis, das du jetzt durchmachst, gibt es auch ein Element von Widerstandsfähigkeit, wodurch dir mehr als nur bloß die Fähigkeit, die jetzige Krise zu überleben, ermöglicht wird Die berühmten Leute, von denen ich dir erzählt habe, haben sich so ausgedrückt: daß sie durch ihre Krise stärker und geschützter wurden. Vielleicht wirst du auch ein ähnliches Wachsen erleben. Ich glaube, nachdem du durch die Hölle gekommen bist, wird nichts mehr das gleiche sein. Ich weiss, daß du es jetzt nicht so ansehen kannst, aber diese Möglichkeit besteht. Dieses Erlebnis erschüttert und ändert dich in deinem Innersten. Für manche erscheinen durch diese Änderung ganz neue Möglichkeiten. Einen solchen Notstand durchzumachen, kann neue Kräfte lösen, vielleicht auch Kräfte ermöglichen, die anderen zu helfen könnten. Nach einem solchen Erlebnis werden die alltäglichen Schwierigkeiten kleiner. Man bekommt eine ganz neue Perspektive.

Schluss

Unseres Wissens nach ist dieser Text der erste seiner Art in der Fach-Literatur. Das erklärt vielleicht seine Schwäche. Wir stellen ihn als Basis für Bearbeitungen und Verbesserungen vor. Eine seiner guten Seiten ist vielleicht, daß er einfach genug ist, um auch von einem sehr aufgeregten oder verwirrten Suizidanten verstanden zu werden. Einige Leser könnten ihn vielleicht zu einfach oder sogar sentimental finden. Wir hoffen jedoch, daß er dem Menschen auf dem Dach nicht so klingen wird.

Der Text könnte auch ohne die Anwesenheit eines Helfers wirksam sein. Wir schlagen vor, daß er in Schule, im Militär, in Gemeindezentren und in anderen Anstalten, wo suizidale Krisen vorkommen könnten, verteilt wird. Es ist bekannt, daß Leute, die den Suizid als eine Möglichkeit für sich selbst betrachten, aktiv nach Auskunft über den Suizid suchen. Im Internet gibt es solches Material, das dem Suizidanten helfen könnte, seine Tat zu begehen. Wir finden, daß dann auch ein anti-Suizid Text angebracht wäre!

Wir wiederholen unseren Vorschlag, daß die Leser aus ihrer persönlichen und klinischen Erfahrung zur Abfassung eines besseren Texten beitragen könnten. Fachleute und Ehrenamtliche, die in Suizidvorbeugungszentren arbeiten, haben gewiss diesbezüglich unerschöpfliche Kenntnisse. Wir hoffen, daß dieser Artikel dazu beiträgt, diesen Kenntnisschatz zu sammeln und an den Tag zu bringen.

Bibliographie

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